“Wie geht Heimat in Friedrichshafen?”

Fotoausstellung und mehr: Letztes Wochenende startete welt_raum öffentlichkeitswirksam ins neue Semester

Friedrichshafen, Sonntagmorgen, zehn Uhr. Während die Innenstadt einmal mehr in ihre gähnend langweilige Routine verfällt, findet im Medienhaus eine Veranstaltung statt, in welcher sich die Initiative welt_raum der Stadt und ihren Einwohnern annimmt.

In der Mitte des Ausstellungssaales zentriert befinden sich Plakatwände, an denen verschiedene Fotos und Fragebögen haften. Was ins Auge fällt, ist die Gewöhnlichkeit der Fotos, die Menschen in unterschiedlichen alltäglichen Situationen abbilden. Neben den Bildern hängen Fragebögen aus, welche mit Sätzen wie “Kultur wandelt sich wie das Leben und die Menschen” oder “Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich mich wohl fühle, so sein kann, wie ich bin und umgeben bin von Menschen, die ich liebe” aufwarten. Der Zusammenhang? Friedrichshafen als Kontext gemeinschaftlicher Heimat in Verbindung mit den subjektiven Empfindungen seiner Bewohner zu bringen. Anstoß für die Vernissage bot am vergangenen Wochenende ein Fotoprojekt der Initiative welt_raum. Die studentische Initiative der Zeppelin Universität, die seit 2014 schwerpunktmäßig Veranstaltungen mit Häflern und Geflüchteten umsetzt, zeigt Friedrichshafen als vielseitige und weltoffene Stadt. Und als Heimat von Menschen mit den verschiedensten ethnischen, demographischen und sozioökonomischen Hintergründen.

Omnipräsent während der Ausstellung ist der Begriff der Transkulturalität, an den die Besucher durch ZU-Professor Jan Söffner theoretisch herangeführt werden. Transkulturalität betont demnach die Verknüpfung verschiedener Elemente von Kulturen, sodass plurale und heterogene Gesellschaften entstehen können. Söffner differenziert zwischen den Begriffen des Heimat- und Kulturschocks. Den Heimatschock beschreibt er als langwierigen Prozess, durch welchen eine zunehmende Entfremdung von der eigenen Heimat stattfindet. Demgegenüber ruf der Kulturschock ein Gefühl der Entfremdung beim Menschen hervor, verursacht durch andere Kulturen. So werden klar identifizierbare kulturelle Identitäten konstruiert, die in Konflikt zueinander treten können. Der Kulturschock kann folglich ein möglicher Grund für die Entfremdung vom eigenen zu Hause sein, bei weitem aber nicht der Einzige. Söffner betonte, dass auch neue Bauvorhaben, zunehmende Gentrifizierung oder ein technologischer Wandel eine solche Distanzierung zur „Heimat“ herbeiführen können. Wichtig sei es zudem kulturelle Minderheiten nicht mit ethnischen Minderheiten zu verwechseln. Söffner betont: Indem ein Bewusstsein für die eigene Unsicherheit und Skepsis gegenüber um sich greifenden Veränderungen geschaffen wird, kann schon eine Lösung für das Problem gefunden werden. Die geteilte Unsicherheit kann zum kleinsten gemeinsamen Nenner für einen interkulturellen Austausch werden und einer Fremdenfeindlichkeit durch Entfremdung Vorschub leisten.

Darüber begleiteten die Veranstaltung im Kiesel gelungene musikalischen Darbietungen, wobei insbesondere der Jugendchor St. Columban die Gemüter erheiterte.

Schade war dabei, dass die Nachfrage von Seiten der Bürger, ob Häfler oder Studierende, verhältnismäßig gering war und auch die anwesenden Besucher nicht immer den Anschein erweckten, sich inhaltlich mit der Ausstellung auseinanderzusetzen.

Obwohl die Thematik des zukünftigen Zusammenlebens zentral für die Entwicklung Friedrichshafens ist, fällt die allgemeine Anteilnahme eher ernüchternd aus. Auch in Zukunft bleibt also die Frage danach offen, wie sich eine Stadtgemeinschaft gestalten lässt, in der sich alle gleichermaßen wohlfühlen.

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Mitmachen? Besser machen?

welt-raum.org

1 Comment

  • Lena Reiner sagt:

    Wenn man eine Stadtgesellschaft aktiv einbinden mag, sollte man das, was man als gähnen langweilige Routine abtut, vielleicht zumindest kurz selbst betrachten… Dann wüsste man zum Beispiel, ohne ein Hellseher sein zu müssen, dass der Sonntagsgottesdienst vielen Bewohnerinnen und Bewohnern Friedrichshafens noch einigermaßen hoch und heilig ist und daher auch besucht wird.
    Dementsprechend schlauer wäre es, eine Veranstaltung nach Gottesdienst und Mittagessen beginnen zu lassen und nicht bereits eine Stunde früher als angekündigt zu beenden 😉

    Nichts für ungut, ich fand die Veranstaltung klasse und auch die Häfler*innen, die ich dort antraf… Meine Worte richten sich daher vor allem an den wertenden Text des Autors.

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