Warum brauchen wir Satiriker in der Politik?

Sauer macht lustig; im Politikbetrieb wahrscheinlich sogar eher bitter. Warum unsere Demokratie gerade mehr als nur ein paar Lacher vertragen könnte, erklärt uns Marius.

Ich bin ein besorgter Bürger. Ich bin ein Wutbürger. Ich bin Protestwähler.

Nach diesen drei Sätzen: was denken Sie über mich? Wenn Sie einer dieser links-grün-versifften Gutmenschen sind, halten Sie mich wohl für einen Nazi – mindestens für einen AfDler. Obwohl diese drei ersten Sätze tatsächlich alle auf mich zutreffen, täuschen Sie sich, denn ich bin kein rechter, ich bin vermutlich noch links-grün-versiffter als Sie. Ich bin Wähler der Satirepartei „Die PARTEI“. Und warum ich diese Entscheidung mit Ernsthaftigkeit statt Humor traf, erfahren Sie hier.

Mit welchen Themen gingen die abkratzenden Altparteien in den Wahlkampf der Europawahl im Mai? Sie warben mit ausgelutschten Platzhaltern, wie Wohlstand, Sicherheit und Frieden und mit Floskeln wie „ein Europa mit einer starken Wirtschaft“. Aber welche Partei thematisierte die moralischen Abgründe Europas? Welche Partei thematisierte, dass in den dunklen Tiefen des Mittelmeers Menschen ersaufen? Ja, Sie ahnen es: eine Spaßpartei. Halten Sie für einen Moment inne und lassen Sie es sich auf der Zunge zergehen, dass keine einzige der etablierten Parteien auf die Idee kam, das größte gegenwärtige Versagen Europas so pointiert zu skandalisieren wie es die PARTEI tat.

Während es Ihnen also langsam auf Ihrer Zunge zergeht, schmecken Sie das bittere und saure (im Abgang). Und weil sauer bekanntlich lustig macht, sitzen jetzt zwei Witzbolde der PARTEI im Parlament der EU. Zum einen Martin Sonneborn, der an dieser Stelle bereits in der letzten Legislaturperiode für Unruhe sorgte und die Partei mitbegründete. Zum anderen der immerkapuzentragende Nico Semsrott, der sich als Demotivationstrainer bezeichnet. Letzterer war am 29. Mai kurz nach der Europawahl bei Maischbergers Sendung zu Gast. Dort ereignete sich bizarres.

Direkt zu Beginn erklärte Semsrott: „Dass ich in so eine Sendung eingeladen werde, das halte ich für ein Alarmsignal“. Man muss kein ausgebildeter Geheimdienstler sein um zu erkennen, dass er es tatsächlich alarmierend findet und es kein Witz war. Aber Maischberger reagiert seltsam: Sie lacht. Sie lacht nicht leise und relativiert Semsrott Aussage mit einem verharmlosendem „Ja …“. Verstörend an dieser Sendung ist nicht nur, dass die Moderatorin ernste Aussagen für witzig hält, nur weil sie aus dem Munde eines Witzboldes kommen, sondern auch, dass über die gesamte Sendung hinweg mit Semsrott umgegangen wird, als wäre er ein exotischer Paradiesvogel, der sich für einen Wachhund hält.

Die Abstrusität einen Satiriker nicht ernst zu nehmen, nur weil er Satiriker ist, ist genauso nicht zu verstehen wie die mediale Gewohnheit einen Politiker ernst zu nehmen, nur weil er Politiker ist. Zum Beispiel hat der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland den Goebbels-Zitator Bernd Höcke als einen „Nationalromantiker mit einer übersteigerten Liebe zu seinem Vaterland“ bezeichnet. Eine Bezeichnung, auf die eigentlich nur ein Satiriker kommen könnte. Wer die größere Witzfigur ist, der AfD-Politiker oder der Satiriker, ist nun manchmal schwer zu sagen.

Zum Glück ist Maischberger nicht repräsentativ für die Welt. Zum Glück werden Satiriker, wie ich zu beobachten glaube, zunehmend ernst genommen. Da haben wir zum Beispiel den Komiker Jón Gnarr, der von 2010 bis 2014 Bürgermeister Reykjaviks war oder wir haben in Slowenien den Kabarettisten Marjan Šarec, der 2018 zum Ministerpräsidenten wurde. Jetzt werden Sie sich zu Recht fragen, ob ich es ernst meine, es als Glück zu bezeichnen, wenn immer mehr Komiker politisch Einfluss nehmen oder gar politische Ämter bekleiden. Dazu komme ich gleich.

Doch was ist eigentlich das Wesen der Satire? Das bloße Witzigsein oder das heitere Spotten genügt nicht, um als Satire zu gelten. Erforderlich ist der erhobene Zeigefinger, der Missstände aufweist. Ein satirisches Werk ist dann von guter Qualität, wenn es auf eine pointierte aber nicht unbedingt kurze Art und Weise auf ein Sollzustand hinwirkt, welches frei von des Verfassers Ichs ist.

Nun zu der Frage von oben, ob ich es tatsächlich als Glück bezeichnen würde, wenn immer mehr Komiker politisch tätig werden. Darauf habe ich drei Argumente.

Es ist offenkundig, dass in der Politik eine immer stärkere Professionalisierung zu beobachten ist. Diese ist dafür mitverantwortlich, dass es bei der Bevölkerung zu einem Nichtverstehen und Nichtverständnis gegenüber der Politik kommt. Auch entsteht ein Bild des fehlenden Veränderungswillen und der Trägheit in der Politik, was unter anderem damit zu tun haben könnte, dass immer mehr Politiker ihr Amt hauptberuflich ausüben und diese es deshalb schwerer haben, riskante Ideen politisch zu vertreten. Zugespitzt kann man sagen, dass die Demokratie von den Bürgern als eine träge Technokratie gesehen wird. Dem gegenüber steht die Satire. Sie ist frei von Zwängen und kann alles riskieren. Sie greift als Außenstehende mit ihrer Klarheit und Andersheit in die Politik ein. Diese Konfrontation kann – und das ist mein erstes Argument – der Politik zu einer neuen Dynamik verhelfen. Eine Dynamik, welche nicht nur der Bevölkerung das Gefühl von politischer Gestaltungsmöglichkeit zurückgibt.

Mein zweites Argument bezieht sich auf vergessene, verdrängte und tabuisierte Themen. Während über manche Ereignisse Tage oder sogar Wochen lang geredet wird, fallen andere – oft wichtigere – Themen ins Hintertreffen. Wieder andere Themen schaffen es erst gar nicht in den Diskurs, weil sie auf gesellschaftliche Tabus stoßen. Weil aus irgendwelchen Gründen das Aufgreifen solcher Themen ein Unbehagen, eine Scham oder sonst etwas herbeiführt, können sie nur schwer oder überhaupt nicht sichtbar werden. All dies gilt vor allem für die Politik aber auch für die Medien und den gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Nicht aber für die Satire. Das also ist mein zweites Argument: die Satire ist in der Lage mit Unverblümtheit wichtige Debatten anzustoßen, die andernfalls im verbergenden Dunst des Tabus und der Vergessenheit geblieben wären.

Nun zu meinem letzten Argument: Ein Satiriker ist besser in der Lage Aufmerksamkeit zu erzeugen als ein Politiker. Die FDP zum Beispiel brauchte um medial und im Diskurs nach der verlorenen Bundestagswahl 2013 wieder relevant zu werden ein teures Marketing, ein neues Design mit kitschigen Farben und einen gelifteten Christian Lindner, um die dafür notwendige Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. Jan Böhmermann brauchte für die gleiche Aufmerksamkeit genau ein Schmähgedicht. Und zwar ohne alldem was die FDP brauchte, sondern nur durch das satirische Werk selbst. Die Satire kann mit der erzeugten Aufmerksamkeit Bürger politisieren und aufrütteln. Das bedeutet nichts Geringeres als mehr Beteiligung am Politischen und deshalb mehr Demokratie. Das dritte und meiner Meinung nach wichtigste Argument lautet also, dass Satire aus dem Unterhaltungssystem heraus die Demokratie stärken kann.

Ich habe versucht zu zeigen, dass wir mehr Satiriker im politischen Raum brauchen. Wir sollten gelassen damit umgehen, wenn Spaßvögel wie Semsrott in ein Parlament einziehen, also das politischste des politischen zur Bühne ihrer satirischen Show machen. Wir sollten diesen Vorgang nicht nur mit Gelassenheit, sondern auch mit Optimismus begegnen. Denn das Auftauchen der Satire in der Politik ist kein Symptom einer angeschlagenen Demokratie, sondern ein Selbstheilungsreflex.