Ver|rückt

Die Zeppelin Universität: Ein Hort der Verrückten? Bild: ZU/Nico Piepenstock

„Hier wirst du zu dem, der du bist – nicht zu dem, der du sein willst.“
– Stephan Jansen, Gründungspräsident der Zeppelin Universität.

Ich sitze hier.

Vielleicht bin ich verrückt.

Vielleicht hat die Zeppelin Universität mich verrückt gemacht.

In jedem Fall hat sie mich verrückt – also verschoben.

Und das ist gut so.

Viele Gläser haben wir verrückt, auf jeden Schnaps ein, zwei Zigaretten ausgedrückt, weil die Erkenntnis schmerzt, dass Erkenntnis noch so weit weg und so wenig greifbar ist.

Weil es wehtut, zu dem zu werden, der du bist.

Weil es wehtut, kein Abziehbild sein zu wollen.

Es schmerzt. Es beißt, kratzt und zieht an dir.

Einmal auf dem Weg der Erkenntnis – you can never go back.

Man sagt ja so schön: der Weg ist das Ziel. Und wenn der Weg das Ziel ist, dann ist das Ziel der Weg – und den Weg finden wir weit weg von dem, was uns als Komfortzone ein Leben lang bekuschelt hat.

Weit weg von dem Glauben an eine sichere Zukunft im Gucci-Proll und mit zwei Sekretärinnen im Machtgebäude einer Wirtschaftswelt von gestern.

Weit weg von einer Gegenwart, die Menschen aus der Vergangenheit für uns bestimmen.

Der Weg bedeutet, sich von Dispositiven zu verabschieden und den Neonluftballon der Konvention zu zerstechen und ihn gegen Unkonvention einzutauschen.

Unkonvention – das heißt nicht krampfhaft dagegen zu sein, sondern kampfhaft dafür.

Zäune einzureissen, die Gesellschaften vor uns für eine scheinbare Ewigkeit gebaut haben.

Unkonventionell – das ist doch aber auch ganz schnell so ein Modewort im Gedankengut des hippen Kulturbürgers, der mit Acne-Pantoletten und Vintage-Chanel den „inspirierenden“ Modekiez in Berlin zum Beben bringen will – all eyes on me. Dann muss ich das ja nicht mehr.

Klar, dass man dann beim Soja-Latte in Prenzelberg auch am liebsten über das redet, was man sieht, nämlich sich selbst – leider oft ohne sich seiner selbst bewusst zu sein.

Unkonventionell – das heißt also nicht zum bloßen Abbild kultur-bohemistischer Gegenwehr zu werden – unkonventionell an dieser Universität heißt sich von Konventionen frei zu machen, die Gegenwart und alles was dahingeführt hat in Frage zu stellen.

Unkonventionell sein heißt verrücken.

Und um zu verrücken, dafür muss man verrückt sein.

Du bist eine Figur auf dem Schachbrett – so wie du gerade stehst, stirbst du als Bauernopfer – wenn du dich einen Schritt nach rechts bewegst, hast du eine Chance zu überleben.

Über Leben – Darüber wollen wir doch alle irgendwann unseren Enkeln in diesem Haus am See erzählen.

Also verrücken wir uns.  Wechseln wir die Position, dann wechseln wir die Perspektive – und auf einmal werden aus Wänden Möglichkeiten.

8 von 10 Personen sagen, dass sie am ehesten verrückt werden würden, wenn sie in einen weißen Raum eingesperrt werden. Das Schlimme für sie ist dann nicht das Nicht-Ausbrechen-Können, sondern ganz einfach: Langeweile.

Eine lange Weile in der man gezwungen ist sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Die Zeppelin Universität ist ein weißer Raum – und damit eine Arena mit dir selbst als Gegenspieler.

Der weiße Raum ist die Universität, und Bildung die Inneneinrichtung.

Bilden wir den Raum, dann bilden wir uns.

Räumlichkeiten – wenn unsere Universität sie uns nicht mehr gibt, dann nehmt Sie euch in Euren Köpfen.

Stellt ein paar Möbel rein – muss ja nicht von Vitra sein.

Und dann verrückt ihr was das Zeug hält – ihr kommt ja sowieso nicht mehr aus dem Raum raus.

Immer wenn eine zauberhafte Beziehung ganz unzauberhaft zu Ende gegangen ist, dann habe ich mit brummendem Schädel von den Getränken letzter Nacht und den Gefühlen der letzten Wochen mein Zimmer umgeräumt.

Ich habe Lampen verstellt, Bilder abgehängt und mein Bett neu bezogen.

Ich habe meine Möbel (mehr Flohmarkt als Freiburger Mid-Century-Distinktionsmerkmale) verrückt. Neue Positionierung hieß neue Perspektive für mich.

Perspektivwechsel heißt dann auch Erkennen.

Wenn wir erkennen wollen, dann müssen wir uns davon lösen, dass Anordnung von Räumlichkeit für immer ist. Dass Annahmen, die einst getroffen wurden, so stehen bleiben können, dass der Status Quo nur der Status Quo ist, wenn wir nichts dagegen tun – nur wenn wir verrücken, können wir die Perspektive wechseln.

Falsifikation statt Verifikation – das ist der Geist unserer Universität. Unzufriedenheit, mit dem wie es ist und der unbedingte Wille, es anders zu machen – wenn anders besser ist.

Für alles – Thesen, Dispositive und Falsifikation derselben brauchen wir unsere Universität.

Wir finden Wissen und Beziehungen. Wir finden heraus, dass die Möbel, die man uns gegeben hat, falsch stehen.

Zeppelin Universität heißt, den Gedanken von Menschen, die uns überleben, überlegen gegenüberzustehen.

Überlegenheit braucht Bildung für radikale Überlegungen.

Überlegenheit braucht Miteinander für genau die Gedanken, die größer sind, als man alleine ist.

Beides haben wir. Beides gibt uns die Kraft, einer extremen Ungewissheit extrem positiv gegenüber zu stehen.

Ist das Glas halb leer, dann bin ich schon halb voll – Positivität geht nur mit Risiko. Dem Risiko negativ aufzufallen. Aber wenn wir davor Angst haben, dann beliebt das Glas voll und wir bleiben nüchtern.

Also lieber Ja zur Ungewissheit – ja zu dem Nicht-Sicher-Sein, wer man mal wird.

Ungewissheit ist schwer zu ertragen – wir wollen uns ja so sehr mit unseren Zielen identifizieren – ich bin der, der ich sein will. Ich bin schon heute mein Übermorgen.

Schade, wenn das so ist. Dann bist du übermorgen noch genauso wie gestern.

Ohne Ungewissheit ist gestern unser morgen.

Ungewissheit überlebt man – wenn man verrückt genug ist.

Der Weg, für den wir uns entschieden haben, als wir einen Vertrag unterschrieben haben, der uns 40.000 €, ziemlich viele schlaflose Nächte und den täglichen Zweifel schenken – der wird nie zu Ende gehen.

Denn wenn man Erkenntnis gesehen hat, kann man nie genug davon bekommen.

Lasst uns für die Ungewissheit einstehen. Dafür, dass wir nicht wissen, wer wir mal werden. Aber dafür, dass wir alles dafür tun, zu sein.

Lasst uns verrückt sein, genauso wie unsere Entscheidung für die Zeppelin Universität eine verrückte ist.

Lasst uns verrücken.

Lasst uns die Paläste von gestern einreißen und unsere Ideen von einer besseren Welt zur Realität von morgen machen.

Auf die Verrücktheit!

Denn normal können andere besser.

Die Zeppelin Universität hat mich verrückt gemacht. Und das ist gut so.

2 Comments

  • Steffen Jensen sagt:

    Gut, dass du es so selbstbewusst vor dir her trägst! Ich hoff, du eckst damit bei deinen Kommilitonen an, damit sie sich mal ne Scheibe von dir abschneiden können. ZU|lässig gegrüßt, SJ

  • Kompost sagt:

    Pro Abziehbilder! #panini

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