Spotlight: Spanien gewinnt (Teil 2)

Wer gewinnt die Wahl? In Spanien ist am Sonntag alles möglich.

Die Bedeutung von Wahlen wird gerne vor dem Wahltermin etwas übertrieben dargestellt. Deshalb etwas zaghafter: Die Wahl in Spanien diesen Sonntag könnte tatsächlich einige grundlegende Veränderungen auslösen.

Weil die Berichterstattung über Spanien in Deutschland leider nur wenig Aufmerksamkeit genießt und immer wieder betont wird, dass eine größere europäische Öffentlichkeit nötig wäre: Bestandsaufnahme: Eine überfällige Wahl“ und dieser Ausblick versuchen vorab einen Überblick über die Wahl in Spanien am kommenden Sonntag, 20.12 zu schaffen.

 

Ausblick: Spanien hat schon gewonnen – Wahlausgang unsicher

In Spanien endet der Wahlkampf gesetzlich bereits Freitagnacht vor der am Sonntag stattfindenden Wahl. Deshalb bereits jetzt ein Ausblick auf die Wahl: Das Zweiparteiensystem von konservativer PP und sozialdemokratischer PSOE wird bei dieser Wahl aufgebrochen werden.

Das geltende Wahlrecht wird die sich zunehmend annähernden Stimmenanteile zwischen den vier großen Parteien in eine ungleiche Sitzverteilung verwandeln, weil viele der 50 Provinzen (gleichzeitig die geltenden Wahlbezirke) so wenige Sitze zu vergeben haben, dass die größte Partei dort profitiert. In den ländlichen kleinen Provinzen sind das meist die Konservativen (PP). Außerdem gelten die Wahlumfragen durch die Effekte der Wahlbezirke und angesichts von bis zu 40% noch unentschlossenen Wählern als äußerst unzuverlässig.

PODEMOS wird, obwohl sie dem Protest der Bevölkerung gegen die Krisenpolitik eine Stimme gegeben und bereits jetzt die politische Kultur im Land verändert hat, zunehmend vor Probleme gestellt: Einerseits tauchen mittlerweile viele ihrer Forderungen auch in den Programmen anderer Parteien auf. Das ist für eine Bewegung, die sich vor allem vorgenommen hat, die Art und Weise wie Politik gemacht wird zu verändern, bereits ein Erfolg. Auf der anderen Seite wird die Partei mittlerweile von Politikern dominiert, die tatsächlich in verantwortlicher Position regieren wollen, was nur in einer Koalition mit PSOE naheliegend wäre. Eine gemeinsame Mehrheit im Parlament ist allerdings unrealistisch.

CIUDADANOS hingegen kann theoretisch als liberale Partei sowohl mit der PP als auch mit der PSOE koalieren. In diesem Teil des politischen Spektrums ist der Kampf um Wählerstimmen am schärfsten. Zwar kann sich CIUDADANOS als Scharnierpartei verkaufen und sich als Garant für echten Wandel profilieren, da sie den etablierten Parteien Zugeständnisse wird abringen können. Andererseits leidet die Partei unter möglichem strategischem Wahlverhalten der Wähler, die im letzten Moment den linken oder rechten Block stärken wollen und dazu „die Originale“ wählen. Die neuen Parteien CIUDADANOS und PODEMOS werden gemeinsam wohl um die 40% der abgegebenen Stimmen erringen.

 

Der Wahlausgang ist also äußerst unsicher. Die PP wird die absolute Mehrheit nicht halten können – daran ändert auch nichts, dass sie den Wahltermin im Alleingang auf einen sonderbaren Termin (20.12) gelegt haben in der Hoffnung, dass die Weihnachtsstimmung und gute Wirtschaftszahlen zu Jahresende die Wähler dazu verleiten, lieber keine Experimente zu wagen. PSOE wird aller Voraussicht nach nicht wie die SPD die Regierungsmehrheit absichern, auch aufgrund des unbeliebten Regierungschefs. Denkbarerer wäre da schon die beliebte Spekulation, dass PP und CIUDADANOS eine konservativ-liberale bürgerliche Regierung etablieren; womöglich allerdings nicht unter Mariano Rajoy sondern unter seiner Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría. Dieser Umstand lädt auch dazu ein, die von CIUDADANOS vorgeschlagenen Wirtschaftspolitiken näher anzuschauen. Es sind in der Grundlogik zutiefst neoliberale Reformvorschläge, obwohl die Partei durchaus als sozial wahrgenommen wird.

Ein Bündnis aus CIUDADANOS und PSOE würde eine progressive soziale Regierung darstellen, in der sowohl innerhalb der Regierung als auch im Parlament eine wohltuende pluralistische Polarisation fortbestehen würde, die gegenwärtig so gewinnbringende Debatten ermöglicht. Auch hätten die neuen Parteien weiterhin Zukunftspotenzial, da sich PODEMOS weiterhin von PSOE und CIUDADNOS von PP absetzten könnten. Von einer solchen sozialliberalen Regierung wäre in den Fragen Föderalismus (Katalonien) und Wahlreform am meisten zu erwarten. Allerdings müssten dazu CIUDADANOS und PSOE besser abschneiden als es die Wahlumfragen vorhersagen, um nicht zusätzlich auf weitere Koalitionspartner (PODEMOS oder Regionalparteien) angewiesen zu sein.

Die gegenwärtigen Umfragen deuten ein Parlament an, das eine Regierungsbildung fast unmöglich macht. Allerdings erlaubt die südeuropäische politische Kultur es eher, nach der Wahl in Verhandlungen Absprachen einzugehen. Zumal, da Koalitionen zum ersten Mal nötig werden. Die neuen Parteien werden auf keinen Fall ihren Nimbus aufgeben und alte Regierungsprojekte ermöglichen. Vielmehr werden sie sich ihre Unterstützung teuer erkaufen lassen durch große progressive Reformen in Wahlrecht, Föderalismus, Korruptionsbekämpfung und Arbeitspolitik. Die bevorstehenden wochenlangen Unsicherheiten bei der Regierungsbildung sollten deshalb auf keinen Fall beunruhigen.

In jedem Fall bleiben ein paar Konstanten: Spanien und alle (!) im nationalen Parlament vertretenen Parteien werden auch weiterhin proeuropäisch sein und eine verstärkte europäische Integration unterstützen. Beiläufig sprachen die Spitzenkandidaten von PP und PSOE in ihrer Fernsehdebatte von einem Parlament und einer Regierung für die Eurozone. Eine spanische Regierung, die Impulse setzt in Europa wäre eine wahrlich gute Nachricht für alle. Deutschland wird weiter als Referenzpunkt in vielen Punkten gelten – kein Land ist so oft bei Fernsehdebatten als Positivbeispiel für Föderalismus, Wahlrecht oder wirtschaftliche Strukturen genannt worden. Außerdem werden viele Errungenschaften der politischen Debatten der letzten Jahre bleiben. Der Sieger der Wahlkampfphase selbst steht also jetzt schon fest: Spanien.

Die spanische Bevölkerung scheint nach Jahren der Krise nicht in Lethargie oder Indifferenz versunken zu sein, sondern nimmt diese Wahl extrem ernst. Egal, welche Regierungsmehrheit am Ende stehen wird, sie wird sich konstruktiv zu den im Wahlkampf formulierten Fragen positionieren müssen – tut sie es beispielsweise in der katalanischen Frage nicht, können wir mit einer deutlichen Eskalation rechnen.

Ausblick

Die gegenwärtig in Spanien geführten lebhaften Debatten mit intelligenten und dennoch divergierenden Positionen beinhalten ein wichtiges Signal für uns hier in Deutschland: In Spanien stellen sich junge und engagierte Politiker den wichtigen Auseinandersetzungen und besetzten aktiv Themen, um gesellschaftliche Debatten voranzubringen. Die Herausforderungen in Spanien (Arbeitslosigkeit, Korruption, Unabhängigkeitsbestrebungen etc.) mögen ungleich größer sein als unser hiesiger Mangel an Investition und Koordinierung in Bildung, Forschung, Gesundheit und Infrastruktur. Dennoch geht es auch um Grundsätzliches: Eine Realitätsbeschreibung als alternativlos anzunehmen unterscheidet sich scharf davon, mit anderen CIUDADANOS („Bürger“) und einem wachrüttelnden PODEMOS („Wir können“) auf die Straße zu gehen, Parteien zu gründen und für öffentliche Ämter zu kandidieren. Spanien sucht am Sonntag neue Mehrheiten, um den gesellschaftlichen Konsens zu erneuern und große Herausforderungen anzugehen mit einer Politik, die große Schritte wagt. Die neuen Parteien haben eine offene Debattenkultur etabliert in der um Standpunkte gerungen wird und bei der dennoch immer ein größerer gesellschaftlichen Konsens gesucht wird.

Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang das Fernsehduell zwischen Regierungschef Mariano Rajoy (PP) und Oppositionsführer Sanchez (PSOE). Wie ein schlechter Traum aus früheren Zeiten. Es wurden ständig konstruierte Zahlen in den Raum geworfen und anstatt in einen konstruktiven Dialog zu treten wurden lauthals Vorwürfe ausgetauscht. Für diese Form der Politik hat man in Spanien in den letzten Jahren den Ausdruck “y tú mas“ („und du noch mehr“) geprägt.

Auch das kahle Studio ließ vermuten, dass die Parteivorsitzenden der zwei alten großen Parteien sich noch einmal zurückziehen wollten, um ein letztes Mal davon träumen zu können, dass sich am Sonntag nichts ändern wird – obwohl Pedro Sanchez die eigene Partei PSOE auf die neue politische Realität bereits vorbereitet hat. Ein wenig wünscht man sich am Ende der Fernsehdebatte, dass die beiden dort sitzen bleiben. Und das übrige Spanien in einer neuen politischen Realität aufwachen darf.

 

Rubrik 'Spotlight'

Das Gesellschaftsressort von Futur drei blickt auf die gesellschaftlichen und politischen Themen, die von den Medien im Alltag wenig beleuchtet werden. Die persönlichen Erfahrungen und das spezielle Wissen unserer Studenten ermöglicht spannende Lichtblicke abseits der Mainstream-Themen. Spotlight on!