Purim in Zeiten von Corona | #Corona

Bild: Constanze Jeschonek

Israel 2020. Die Welt hat dicht gemacht und die Menschen drehen durch. Als Deutsche wurde man zuvor mit offenen Armen willkommen geheißen, plötzlich kommen skeptische Blicke. In der letzten Nacht, bevor die Bars und Restaurants zugemacht haben und festgelegt wurde, dass nur noch maximal 10 Menschen auf einmal an einem Ort sein dürfen, trat ich mit Freunden in eine kleine Bar in Jerusalem, wo grade ausgelassen zu arabischer Musik getanzt wurde. Die Stimmung änderte sich abrupt, doch kurz darauf kam ein Mädchen auf mich zu und sagte: „they all think you have Corona. So I will kiss you“, und schaute mich mit strahlenden Augen an und ich willigte ein. Sie küsste mich und wir tanzten ausgelassen, alle zusammen. 

All die schönen Bars und Clubs, die zuvor zu Purim lebhaft mit verkleideten, übermütigen Gestalten bevölkert wurden, jauchzten noch einmal kurz auf bevor sie für ungewisse Zeit geschlossen werden würden. Die Menschen begegneten sich offen und ängstlich ob der kommenden Zeit. Allein sein ist wohl nicht so angesagt hier, in diesem gemeinschaftsorientierten Land. Doch ich sehe hier viel Potenzial, grade für die überarbeiteten Israelis, die keine Ruhe zwischen ihren drei Jobs und tausend Projekten finden. Auch hier ist das Toilettenpapier ausverkauft, vielleicht werden sie sich ja nun an ihren arabischen Nachbarn und ihren Wassertoiletten orientieren. Der Markt in Tel Aviv wurde bereits vom Militär geschlossen, in Jerusalem steht der Mehane Yehuda Markt noch rebellisch da und bietet Granatäpfel, Erdbeeren, Oliven, Labane und Halva an. Ein paar Masken finden sich hie und da, doch die Busse sind noch voll, die Ultraorthodoxen in ihren glänzenden, schwarzen Mänteln und den perfekten Locken schreiten noch immer durch die Gassen und vom Nussstand schallt yiddischer Techno. 

Es erinnert durchaus etwas an Purim, das Fest, das an die jüdische Überlebenskraft erinnert und die Welt auf den Kopf stellt. Es ist eine Mitzwa (gute Tat), sich um den Verstand zu trinken, und seit dem 16. Jahrhundert verkleidet man sich auch, kopiert vom italienischen Karneval. Überall im Land finden die Veranstaltungen einen Tag vor Jerusalem statt, um dann dort zur Ekstase getrieben zu werden. Zwar hatten dieses Jahr wegen Corona auch viele Clubs und andere Veranstaltungen geschlossen, doch dennoch waren die Straßen gefüllt mit Pharaonen, Wikingern, Kreuzrittern und Wolken. Auf dem Karmelmarkt wird man durch die Straßen geschoben, auf Dächer gezogen, in Tänze gedrängt und zu Spielerein entzückt. Ein ewiger Laufsteg an Kreativität und Ausgelassenheit, mit einer Unmenge an Drogen und Farben. 

Der nächste Tag in Jerusalem stand für mich zwischen zwei Veranstaltungen. Der Abend begann auf einem Forestrave von einer ganz speziellen Gruppe, nämlich religiöse Hippies. Nicht zu verwechseln mit den Hippies, die sich religiöse Elemente rauspicken. Dann gibt es noch die Säkularen, die damit gar nichts am Hut haben, aber dennoch ihr Jüdisch-sein ergründen, die, die komplett gegen Nationalismus, Religion und sonstigen Unsinn sind, und denjenigen, die voller Überzeugung nationalistische Gedanken mit einem großen Lächeln und viel Liebe in die Lüfte rufen. Aber nirgends akkumuliert sich dieses Gewirr an Gedanken auf solch eine zugespitzte (übrigens ein Yiddisch-Hebräsisches Wort, wie Schluck und Schleppen) Weise wie in Jerusalem. Und all das wird in der verkleideten Parade auf den Kopf gestellt, auf der die ganze Szene mit pinken Panzern und einem riesigen Elefantengefährt die Straßen und Parks erobert. Jeder tanzt mit jedem, Kinder, Alte, Junge, Grimmige und Glimmernde, Religiöse mit Säkularen. Dagegen kann Karneval einpacken. 

Also, Lachaim!