Our House is burning – Klimastreik und Umweltschutz in Lettland

Valentina Burdukovska & Laura Treimane in Straßburg, by Valentina Burdukovska
Valentina Burdukovska & Laura Treimane in Straßburg, by Valentina Burdukovska

„How dare you! […] Our house is burning!“ rief uns die 16-Järige Greta letztes Jahr immer wieder ins Gedächtnis. Recht hat sie – wir sind das einzige Kollektiv an Lebewesen, dass in vollem Bewusstsein seine eigene Lebensgrundlage vernichtet. Ihr Protest startete die mittlerweile weltweite Klimabewegung Fridays For Future (FFF). Auch in Lettland gibt es einen Ableger. futurdrei hat sich für euch mit zwei der Organisatorinnen getroffen und sie zu Umweltschutz und FFF in Riga interviewt.

Riga. Wetter und Klimawandel sind nicht das gleiche, doch auch hier in Lettland macht er sich langsam bemerkbar. Diesen Januar kann man deutlich spüren, dass etwas nicht stimmt. Die Temperaturen schwanken zwischen +2°C und +10°C, dabei sollten sie um die -12°C pendeln. Diese spürbare Entwicklung sorgt auch für Tauwetter in der Umweltpolitik in Lettland. Meine beiden Interviewpartnerinnen sind Laura Treimane und Valentina Burdukovska.

Valentina ist eine der Hauptorganisatoren von FFF Latvia und hat ihren Master in Umweltwissenschaften an der Universität Kopenhagen absolviert. Laura ist für die Kommunikation bei der NGO „Zero Waste Latvia“ verantwortlich und darüber hinaus beim WWF aktiv. Sie hat die ersten Fridays for Future Protestes in Lettland mitorganisiert. Ihr Motto: „Wer Müll vermeidet, hat auch kein Entsorgungsproblem.“ Ich treffe die beiden in einem kleinen Café in einer Seitenstraße der Altstadt, eineinhalb Stunden vor Ladenschluss. Wir sind die einzigen Gäste – je ein stück Kuchen und ein Cappuccino stehen vor uns.

Freut mich sehr, dass Ihr beiden Zeit für das Interview gefunden habt. Umweltschutz spielt in Europa eine immer größere Rolle, auch im Baltikum. Wie hat FFF in Lettland angefangen?

Valentina: Angefangen hat das ganze mit ein paar belgischen und deutschen Studierenden, die sich engagieren wollten. Im Sommer 2018 gab es nichts in der Richtung, also haben sie kurzerhand selbst einen Ableger in Riga gegründet. Besonders ein Belgier war richtig aktiv, neben seiner Masterarbeit hat er uns angeworben und FFF die heutige Organisationsstruktur gegeben. Seit seiner Rückkehr nach Belgien leitet ein fünfköpfiges ‚Leading Council‘ die Organisation.

Die letzten 16 Monate hat sich bei euch einiges getan: soweit ich weiß hattet ihr vier große Protestmärsche. Wie organisiert ihr euch? Warum die ungewöhnlich späten Uhrzeiten eurer FFF Demos?

Laura: Das letzte Jahr war einfach großartig! Wir hatten vier Großdemos mit je über 1.000 Teilnehmern! Die beiden größten waren der „Global Climate Strike“ im September und die „Baltic Chain“ im April.

Valentina: Stimmt, 16.00 Uhr ist eher untypisch für einen Schulstreik. Vormittags hatten wir Probleme Leute zu bekommen. Da kaum Schüler:innen teilnehmen haben wir uns langfristig für den Nachmittag entschieden. Studierende sind mit Abstand die größte Gruppe, danach kommen Berufstätige mit ca. einem Drittel.

Laura: Schüler:innen sind die kleinste, aber engagierteste Gruppe. Sie wollen häufig selbst mitorganisieren. Leider sind die meisten unter 18 – rechtlich ist das bei der Organisation von Demos ein Problem. Den meisten fehlt es auch noch an Erfahrung. Sie wissen nicht, wie man richtig kommuniziert, Proteste oder eine Organisation strukturiert – wir bilden sie so gut es geht aus. Eine eingetragene NGO zu sein würde uns hier helfen.

Ihr seid keine NGO? Wie finanziert ihr euch ohne Spenden?

Laura: Genau! Noch sind wir eine Bürgerinitiative, deshalb können die Schüler auch nicht wirklich Verantwortung übernehmen. Alles läuft über uns selbst, als Privatperson. Klar kosten die Demos etwas Geld – Werbung, Lautsprecher für Demos, … nichts ist umsonst. Da wir Spenden nicht selbst annehmen können, unterstützen uns andere Vereine wie ‚Protests‘. Sie sammeln Gelder und mieten Boxen und Mikrofone für uns.

Valentina: Häufig wechseln Verantwortliche, das bremst uns natürlich aus. Langfristig werden wir deshalb zur NGO mit festen Ansprechpartnern werden.

Lettland soll 2022 ein Pfandsystem bekommen. Wie denkt Ihr darüber?

Laura: Die Diskussion wird seit über 13 Jahren geführt. Laut Umfragen befürworten 84 Prozent der Letten ein Pfandsystem – eine Einführung ist längst überfällig. Die Abfallwirtschaft in Lettland ist das reinste Chacos, recycelt wird kaum. Glas wird in der Regel getrennt gesammelt, statt es einzuschmelzen wird der Bruch im Straßenbau oder Beton verwendet. Mehrwegflaschen gibt es kaum. Wiederverwendbare Verpackungen sind die Zukunft. Müllvermeidung ist allerdings immernoch der beste Weg die Umwelt zu schützen und Ressourcen zu schonen.

Wo seht Ihr aktuell die größten Umweltprobleme in Lettland?

Valentina: Das Hauptproblem ist ganz klar unser Energiekonsum. Wir sind zu abhängig vom Import fossiler Energieträger. Langfristig brauchen wir Energie aus lokalen, erneuerbaren Quellen; zeitgleich müssen wir den Verbrauch senken. Konkret bedeutet das: neue, effiziente Leuchtmittel und eine bessere Dämmung der Wohnungen.

Laura: Gesellschaftlich betrachtet ist Bildung eindeutig das Hauptproblem. In den Schulen wird nicht genügend zum Thema Nachhaltigkeit und Umwelt getan. Wer sich (allerdings) für die Themen interessiert, muss selbst danach suchen. Information ist genügend da, man muss sie nur finden. Leider ist das nicht immer ganz einfach, nicht jede online Quelle ist vertrauenswürdig, das meiste auf Englisch. Es sind auch nicht die Interessierten, sondern gerade alle anderen die wir erreichen müssen. Wir brauchen Nachhaltigkeit als Schulfach!

Problem erkannt, Gefahr gebannt? Was sind eure Ziele als FFF?

Valentina: Als FFF Latvia haben wir drei klare Ziele: Aufmerksamkeit, Ermutigung und Bildung. Praktisch bedeutet das, in die Medien zu kommen und den öffentlichen Diskurs anzustoßen. Wir informieren und ermutigen. Denn nur wer sich mit dem Thema auseinandersetzt wird einen positiven Beitrag leisten können.

Laura: Fridays For Future hat kein klares Ziel, keinen Fünf-Punkte-Plan zur Rettung der Welt. Das wird uns immer wieder zum Vorwurf gemacht und ist unser größtes Kommunikationsproblem. Wir sind hier, um gemeinsam einen Wandel zu verlangen. Wie dieser Wandel konkret aussieht, müssen Politik und Wissenschaft gemeinsam bestimmen.

Wir hoffen, dass sich FFF Latvia das kommende Jahr weiterentwickelt. Unser Ziel ist es definitiv Einfluss auf die Politik zu nehmen – der nächste Meilenstein wäre eine Mitgliedschaft im ‚Environmental Consultant Committee’. Dieses ist ein Beratergremium des Umweltministeriums, bestehend aus mehreren NGOs. Zero Waste Latvia zum Beispiel ist bereits Mitglied und kann das Ministerium bei Gesetzesentwürfen unterstützen.