Optimist: 
eine kurze Geschichte des Erwachsenwerdens

Es ist laut. 
Ein stetiges Rauschen liegt über den Köpfen der Besucher, wie ein schweres Tuch.
 Das hohe Dach der riesigen Halle lässt es zu, dass sich die Luft mit Geräuschen füllt. Am einen Ende steigen sie auf, sammeln sich unter der hohen Holzdecke und diffundieren durch den ganzen Raum. Sie bilden das Hintergrundgetöse aus Stimmengewirr und Maschinenlärm. Man plaudert, feilscht und lacht. Überall  strecken sich aufgespannte, weiße Segel in die Höhe. Kleine Jollen,  große Yachten, Katamarane. Es ist Messe.

Am Ende des großen Saales, mit etwas Abstand zu dem Gewirr aus Ständen, herumschweifenden Familien und Segelbooten, befindet sich der Stand der Seglerjugend: ein kleines Café. Um die Vereinskasse etwas aufzubessern verkauft man Kaffee, Butterbrezen und andere Kleinigkeiten. 
Christopher hilft hier heute aus, schiebt mit Cola gefüllte Plastikbecher über die Theke, wo sie in die Hände der hungrigen und müden, jedoch fröhlichen Messebesucher wandern. Er hantiert schnell, etwas hektisch. Wenn er die Preise zusammenzählt schaut er angestrengt nach oben und auf seiner sonst glatten Stirn zeichnet sich die Idee einer Falte zwischen den Augenbrauen ab. Oft kommen ihm die Erwachsenen zuvor, nennen ihm den Preis, bevor er es schafft die richtige Zahl auszurechnen. Dann lächelt er auf eine charmante Art entschuldigend.  
Mathe liegt ihm nicht sonderlich, aber das macht nichts. Christophers Leidenschaft ist das Segeln und sein Ziel: die Bundesliga. “Viel verdienen kann man damit nicht, das ist nicht so wie im Fußball.” Aber das macht ihm nichts. “Es ist mein Traum”, verkündet er stolz und grinst, wobei die kleine Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen zum Vorschein kommt. Er wohnt mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester direkt am See. Der Anblick der Boote gehört zu seinem Alltag. Angefangen hat er mit sieben und segelt seitdem eine “Opti”, das ist die Abkürzung für Optimist. Das passt zu ihm. 
Heute kann er sogar noch bei sieben Windstärken segeln, ab acht wird es kritisch, ab sechs ist Sturmwarnung. Am Anfang waren drei Windstärken schon viel für ihn, nach dem Kurs blieb er meistens noch länger auf dem Wasser mit den Fortgeschrittenen. “Angst hatte ich aber nie, war immer total motiviert. Meine Trainer fanden es amüsant, dass ich immer gelacht habe beim segeln.”, erzählt er. Hätte ihm damals jemand gesagt, er würde einmal bei einer Regatta mitfahren, hätte er diesem Menschen wohl einen Vogel gezeigt. Letztes Jahr war er bei den deutschen Meisterschaften dabei. Jetzt will er “auf der Spur bleiben, weiter machen”, sagt er.

Die Tische des kleinen Cafés füllen sich. Unter den Gästen sind viele Kinder, auch Christophs Freunde vom Segeln. Für sie ist die Messe ein großer Spielplatz, sie spielen Fangen und turnen auf den Booten herum. Ihre kleinen Körper sprechen von Kraft und Wachstum und davon, dass sie irgendwann erwachsen werden. Mit beiden Händen hält Christoph die große Colaflasche und schüttet das sprudelnde Braun mit einer Mischung aus kindlicher Vorsicht und kontrollierter Routine in den Plastikbecher. Für seine 14 Jahre ist er sehr klein. Über seine Zukunft hat er sich schon viele Gedanken gemacht, ist zielstrebig. “Früher hat man mehr aus dem Bauchgefühl entschieden, heute denkt man mehr.” Er will nicht nur im Segeln ein Profi werden, sondern filmt und fotografiert auch gerne. Dabei kann er abschalten, runterkommen, wie er sagt. Für sein Alter wirkt er sehr bestimmt und überlegt,  benutzt manchmal Formulierungen, die er von Erwachsenen gelernt hat. Sie fügen sich in den eifrigen Redefluss  etwas holprig ein, wie Fremdlinge. Bald schon werden sie seine eigene, ganz persönliche Art zu Sprechen sein. Voller  Begeisterung erzählt er, er wolle vielleicht auch in die Medienbranche, seine Freunde meinen er soll Moderator werden. Die Idee gefällt ihm. Er redet viel und gerne.

Es wird stressig hinter dem Stand, der Kaffee läuft nur langsam aus der Maschine und es dauert einen Moment, bis die Tasse voll ist. Während er wartet, vergräbt er die Hände tief in den Hosentaschen und versucht den herumwirbelnden Erwachsenen nicht im Weg zu stehen. Unter den blonden Ponyfransen die ihm in die Stirn fallen, schauen die grünen Augen nachdenklich in die Ferne, ein leichtes Lächeln umspielt den kindlichen Mund. An die Zukunft hat er vor allem eins: viele Erwartungen. “Ich weiß, dass ich am Anfang einer Entwicklung stehe und will mich weiter steigern, vorallem im Segeln und Fotografieren.” Scheinbar wissend erklärt er: “Ich denke das bleibt auch so.”