München, wirklich die Hochburg des Spießertums?

Clint Eastwood sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung 2010: „Ich erinnere mich kaum, schon mal eine so schöne Verbindung von Bergen, Seen und einer Stadt gesehen zu haben wie in München.“[1]

Bevor man also die Debatte beginnt, wie spießig München wirklich ist und ob man dem noch entkommen kann (Spoiler: kann man), muss Clint Eastwood zugestimmt werden. München ist einfach schön! Seen? Es gibt den Starnberger See, umgeben von den bayrischen Voralpen, mit der S-Bahn grobe 40 Minuten südwestlich aus der Stadt raus. Von Frühling bis Herbst pilgern die Münchner an jedem ansatzweise sonnigen Tag zu den zahlreichen Bootsverleihen, von denen aus man mit allem von Tretboot bis Segelschiff zu dem im Wasser stehenden Holzkreuz kreuzen kann, das die Stelle markiert, an der König Ludwig II. 1886 ertrunken ist. Oder, ihr wisst schon, einfach in der Mitte des Sees stehen bleiben, Bier auspacken und schwimmen gehen. Alternativ fährt man zum Tegernsee, der ein bisschen weiter entfernt liegt, aber mit all den anderen gleichen Vorzügen (allerdings ohne toten König).

Berge? Bayrische Voralpen und so. Innerhalb von zwei Stunden ist man eben mal spontan mitten in den Bergen. Persönlicher Tipp: Die Höllentalklamm in der Nähe von Grainau, Garmisch-Partenkirchen. Der über 1000 Meter lange Felsspalt bietet ein bizarres Naturschauspiel, zwischen mächtigen, grau-weißen Felswänden bricht sich ein eisblauer Gebirgsfluss Bahn. Man kämpft sich seinen verschlungenen Weg über Stege, Brücken und Tunnel, riesige Fels- und Eisbrocken und durch zahlreiche Wasserfälle immer weiter nach oben. Kommt man oben klitschnass raus, steht man direkt vor einem sich weit erstreckenden grauen Trümmerfeld à la Smaugs Einöde, an dessen Ende ziemlich respekteinflößend der Gipfel der Zugspitze in den Himmel ragt.

München wäre allerdings nicht München, wenn man es erst verlassen müsste, um mitten in der Natur zu stehen. Durch die Stadt zieht sich ein grünes Tal, die Isarauen, das weit über den eher bekannten Englischen Garten hinaus reicht. Sitzt man auf einer der vielen weißen Kiesinseln mitten in grünem Gewässer, umgeben von großen Bäumen und Schilf, ist schnell vergessen, dass grobe 200 Meter weiter die nächste Hauptstraße liegt. Eine halbe Stunde von der Reichenbachbrücke immer geradeaus geradelt erreicht man den Flaucher, ein besonders schöner Teil der Auen, und dann bitte schwimmen, in der Sonne fläzen, grillen und Abends wird gefeiert. Dafür braucht‘s Anlage, Bier und ein Lagerfeuer. Das nennt man dann Isarpartys, und die haben in München Legendenstatus. In kleiner Runde oder unbeabsichtigt rasend schnell wachsend, wenn man an einem lauen Sommerabend unter dunkler werdenden Himmel im Wasser tanzt, ist man der King. An dieser Stelle seien Eisbach und Surferwelle noch erwähnt, der Isarausläufer, der im Sommer Treffpunkt ist für alles zwischen 16 und 30 Jahren und die künstliche Welle in diesem, an der sich die besten Surfer Deutschlands und der Welt treffen, um sich mitten in der Großstadt in die Fluten zu stürzen.

Und sonst? München ist eine alte Stadt. Eine schöne Stadt, überfließend von Kultur. Beliebter Treffpunkt ist zwar der Gärtnerplatz, mutiert der Meinung der Autorin nach jedoch immer mehr zu einem eben jener Plätze, an dem das Spießertum sich gerne gegenseitig gratuliert. Besonderer Tipp ist der Weißenburger Platz im Franzosenviertel in Haidhausen, in dem sich im Sommer wunderschön bepflanzte Grünflächen um den noch viel wunderschöneren Glaspalastbrunnen aus dem Jahre 1853 winden. Im Winter findet hier der schönste Weihnachtsmarkt Münchens statt, mit Ständen der umliegenden Geschäfte und Lichterketten am Brunnen in der Mitte. Und hier noch ein paar Honorary Mentions: Die Pinakotheken, das Haus der Kunst und die Villa Stuck, alles schwer zu empfehlende Museen mit sehr individuellen Ausstellungen. Und aktuell: „Jean Paul Gaultier – from the sidewalk tot he catwalk“ in der Kunsthalle, nach Paris in München jetzt die letzte Chance auf die Ausstellung über Gaultiers Schaffen in Mode, Theater und Popkultur. Noch bis 14. Februar 2016!

Man ist in München also schon außerhalb Cafés, Restaurants, Clubs und Bars wunderbar bedient. Aber ohne würde es ja keinen Spaß machen, also: Münchner Cafés und Bars sind eine Kontroverse an sich – es muss an dieser Stelle der sich immer weiter verschlechternde Ruf Münchens erwähnt werden. In ganz Deutschland und grade auch an der Zeppelin Universität ist München immer mehr ein Inbegriff für Neureichen-Spießertum. Besondere Ausdrucksform hat das in Münchens Cafés gefunden. In den letzten Jahren sind von denen gefühlt pro Straße zwei ach-so-individuelle aus dem Boden gesprossen. Vor denen sich Münchens obere Mittelschicht konform aufgestylt versammelt, um mit gespreiztem kleinen Finger ihren Latte zu schlürfen, sich salbungsvoll über andere die Mäuler zu zerreißen und zu erzählen, dass sie jetzt den alteingesessenen Club in der Straße, in die sie grade gezogen sind, verklagen werden, weil der ist ihnen zu laut. Trotz allem werde ich hier behaupten, dass das eben nur das München derer ist, die es zum ersten Mal besuchen (oder grade mit neuem Geld hergezogen sind husthust). Man muss es kennen und dann muss man gar nicht so lange suchen, da findet man das echte München, vielleicht auch das alte München, denn es gab Zeiten, da strömte alles, was kein Geld hatte und Kunst machen wollte hierher und auch die Punkszene knallte hier mal ordentlich.

Das Café Kosmos am Hauptbahnhof könnte aus so einer Zeit stammen – genau die richtige Mischung zwischen ranzig und gemütlich und an den Wochenenden so brechend voll, dass die Gäste zu allen Jahreszeiten noch 20 Meter die Straße runter auf dem Gehsteig hocken. Eine eiserne Wendeltreppe verbindet zwei winzige Stockwerke mit riesigen Fenstern, wackligen Tischen, Sesseln, einer getapten Couch und Orientteppichen. Und selbstgebastelten Münzautomaten, in denen die Barbies nach Geldeinwurf Erdnüsse von Plastikpalmen in deine Hand schütteln. In ähnlicher Manier hält sich das Vivo in Haidhausen über Wasser. Dort gibt es Kronleuchter, Topfpflanzen und einem heiß geliebten Kicker in der Ecke – Bier und Nachos und wirklich immer gute Feierabendstimmung. Das Maria Passagne in Haidhausen wiederum bietet hundert Masken an den Wänden, immer ein neues Soul-Konzert und ein wunderbares Absinth- Cocktail. Und wer’s doch ein bisschen gehobener mag, die Goldene Bar im Haus der Kunst bietet neben Drinks von Gastbartender auf internationalem Niveau deckenhohe goldene Wandmalereien aus den 40er Jahren.

Und feiern gehen? Das Credo hier lautet eigentlich nur: Meide die Sonnenstraße! Auf der Mainstream-Feiermeile Münchens ist ein Club wieder andere und sie alle sind, dezent gesagt, nicht berauschend. Einzige Ausnahme ist in dieser Straße der Cord Club, Location für alle Fans von Indie und Wohnzimmerkonzert-Atmosphäre unter gläserner, blinkender Zirkuszeltdecke. Wer’s eher rockig mag, kann zum Strom an der Frauenhoferstraße pilgern, alteingesessener Club, in dem schon die Eltern feiern waren und die schönsten Konzerte spielen. Oder ins Milla, Bar und Live-Club im Glockenbachviertel, langer schmaler Raum mit schrägem Boden, der immer mehr Spaß macht, desto fröhlicher man wird, mit geiler Musik und fast noch schöneren Konzerten. Generell ist es immer ein guter Tipp, sich ans Glockenbachviertel zu halten. Münchens Szeneviertel mit wunderschönen Altbauten und Brutstätte der Undergroundmusikszene (und im Winter gibt’s hier Pink Christmas, seines Zeichen glitzernder, lauter LGBT Weihnachtsmarkt mit wunderbaren Showacts). Wem der Sinn nach Techno steht, besucht die Rote Sonne oder das Kong. Für Hip-Hop lautet die Adresse Beverly Kills, vor allem zu empfehlen Freitags, an dem eine ziemlich geile DJane am Pult steht. Und Mutter aller Eventlocations ist das Muffatwerk, altes Gemäuer eines ehemaligen Elektrizitätswerks in den Isarauen, das mehrere Räume und Hallen und einen kleinen Biergarten umfasst und von wirklich jeder Altersgruppe besucht wird, die Lust hat auf ungezwungenes Ausrasten oder Entspannen oder Tanzen oder Currywurst.

Um den Schluss kurz zu machen: Damals wie heute, man halte es mit Thomas Mann: „München leuchtet“!

[1] http://www.sueddeutsche.de/kultur/clint-eastwood-im-gespraech-ich-bin-der-haeuptling-1.476664-2

1 Comment

  • Schorsch sagt:

    So wirkliche Insidertipps waren da jetzt aber nicht dabei. Ich komm zwar nicht aus München, aber trotzdem kenn ich 90 % des Beschriebenen. Was wirklich interessant wäre, ist z. B. der Isar-Jam, der jedes Jahr 2x illegal stattfindet und auf welchem die (sehr kleine) Avantgardeszene des bayerischen Psychadelic-Rock und Blues durch die Nacht jammt (DAS ist wirklich untypisch für München – “Isar-party” ist wohl nichts, was als Insider gelten kann, man hockt sich halt mit Bier an den Fluss, wie in anderen Städten auch). Starnberger See und Tegernsee kennt ja nun wirklich jeder, eher interessant: der Spitzingsee (auch mal im Sommer, nicht nur im Winter zum Skifahren) oder der Staffelsee mit seinen unzähligen Inseln. Der gesamte Text klingt eher wie von jemanden geschrieben, der selbst aus München kommt und für sich selbst – vermittels einer detailreichen Aufzählung – zu legitimieren versucht, warum die “eigene Stadt” gar nicht so schlecht ist. Dass München nicht nur ausserhalb Bayerns (Verweis ZU), sondern v. a. auch innerhalb des Freistaats seit längerem belächelt wird, daran hat sich einfach nicht viel geändert. Entsprechende Gegenargumente wären gerne gesehen gewesen.

    (Was ich jetzt nicht als Einleitung geschrieben habe: Ich komme aus dem Landkreis Miesbach – wo Schliersee und Tegernsee liegen – und muss es schon als symptomatisch ansehen, dass jemand, der aus/über München die Stadt preisen will, mit dem oberbayerischen Voralpenland die eigene Beschreibung anfangen muss, wo sich die Hälfte der ganzen “Stodara” eh jedes Wochenende tümmeln muss, weil es bei ihnen wohl eben doch nicht so schön ist, so dass sie immer zu uns kommen müssen.)

Comments are closed.