Midnight Wave und der Nebel über dem Bodensee – Fünf Alben für melancholische Herbstabende

Mitte Oktober, es ist kalt. Eigentlich schon zu kalt. Ich fahre nach der Uni mit dem Fahrrad nach Hause – warum gibt es hier verdammt noch mal keinen vernünftigen ordentlichen Nahverkehr?! – und fluche schon auf dem Abhang des Fallenbrunnens über die Kälte, die mir mit dem Fahrtwind ins Gesicht bläst. Sie schreit mir förmlich entgegen: Hallo, es ist Herbst und bald ist Winter! Zuhause angekommen schäle ich mich mit Schweißperlen auf der Stirn, aber dennoch klammen Fingern, aus meinem Mantel. Ein kleiner Fluch für das Schwitzen und noch ein zweiter für die Kälte. Draußen wird es gerade dunkel. Auch beschissen. Während ich mich auf das lang herbeigesehnte Sofa fläze, beginnt die Angepisstheit sich zu verwandeln. In eine gewisse Art von Traurigkeit. Das herabgefallene Laub erinnert mich an Vergänglichkeit, trotzdem ist es irgendwie schön. Herbstmelancholie.
Kommt euch dieses Gefühl bekannt vor? Dann seien euch folgende fünf wunderbare Alben ans Herz gelegt. Hört sie euch an, wenn euch der Herbst mal wieder ein wenig auf´s Gemüt schlägt. Damit ihr euch so richtig in eurer (Herbst-)Melancholie suhlen könnt!

Nicolas Jaar – Sirens (Other People)
Der New Yorker Nicolas Jaar dürfte seit seinem Debüt-Album Space Is Only Noise auch über die elektronische Szene hinaus bekannt sein. Wer ihn trotzdem nicht kennt: Er ist der Sohn des Künstlers Alfredo Jaar, der die Neonröhren-Installation im Forum des Fab gemacht hat. Papa Jaar hat auch für Nicolas neuestes Album Sirens das Artwork beigesteuert. Die sechs Lieder des Albums sollten am besten in einem Stück gehört werden. Jaars Stimme irrt zwischen immer wieder auftretenden Störgeräuschen umher, klingt mal surreal mit Klavier über einem hallenden, langsamen Beat, mal nach Depeche Mode zwischen wütend krächzenden Gitarren. In dem Cumbia-Stück „No“ singt der Halbchilene sogar in klagendem Spanisch: „Wir haben schon nein gesagt, aber das ´ja´ ist in allem.“. Für graue Abende ein passendes Motto.

 

Vermont – Vermont (Kompakt)
Vermont, das sind Motor City Drum Ensemble und Marcus Worgull. Die beiden haben vor zwei Jahren eine LP von ungemeiner Kreativität veröffentlicht. Die Tracks schwanken zwischen Ambient und House, tanzbar sind sie nicht wirklich. Stattdessen lullen einen Pads und eingängige Melodien in eine wohlige, kontemplative Ruhe. Durch die Variation an Klangelementen bleibt es aber irgendwie spritzig. In „Katzenjammer“ ist sogar (abgesehen vom titelgebenden Katzenmauzen) ein Rascheln zu hören. Herbstlaub vielleicht?

 

Four Tet – Pink (Text)
Gehen wir noch weitere zwei Jahre zurück, gelangen wir zu Four Tets Pink. Mit rund 300.000 Facebook-Likes ist der britische Produzent längst kein Geheimtipp mehr, dennoch ist seine Musik nur so weit vom Pop beeinflusst, wie es gerade nötig ist. Das heißt: Ungefähr eine schöne, süße Melodie pro Track. Ansonsten ist auf Pink jedes Stück eine eigene kleine Welt für sich, mit Meditation („Peace For Earth“), dunklen Clubräumen („Lion“) und Wehmut („Locked“). Das alles auf unglaublich dichten, warm klingenden Drum Patterns aufgebaut. Gerade diese nahezu holzige Wärme macht es so schön für den Herbst.

 

Imre Kiss – Midnight Wave (Farbwechsel/Lobster Theremin)
Bei Midnight Wave erinnert nicht nur das Cover entfernt an die Friedrichshafener Nebelschwaden, sondern auch die Musik. Wie durch ein Rauschen gefiltert wabern die Tracks düster vor sich hin. Sie werden nicht präzise, sondern umreißen eine Atmosphäre: Düsterheit und Niedergeschlagenheit mit einem Hauch von Licht und Hoffnung (bereits der Opener „Accept The Light“ macht dies deutlich). Manchmal dynamisch, manchmal auch nur stumm um sich schauend. Die Tracks legen sich schwer um einen, ähnlich wie es der Nebel am Bodensee tut.

 

Illum Sphere – Glass (Ninja Tune)
Ihr bemerkt vielleicht langsam, die herbstliche Schwermut lässt sich musikalisch hervorragend mit Ambient ausdrücken. Auch Glass, das zweite Album des Briten Illum Sphere, beinhaltet diese musikalische Sprache, ergänzt sie jedoch um tanzbarere Tracks. Reduzierter House, auch ein bisschen unaufgeregter Breakbeat ist dabei. Die Atmosphäre ist jedoch das Entscheidende: Sie erinnert in ihrer Stimmung an Midnight Wave, hat jedoch einen sehr viel schärferen Blick. Nichts rauscht, der Klang ist kristallklar – irgendwoher muss der Albumtitel ja kommen. Abgesehen von schwerem Nebel kann man sich auch wunderbar einen Wald in der Abenddämmerung dazu vorstellen. Die kahlen Äste sind gerade noch so vor der hereinbrechenden Dunkelheit zu sehen und den Wald umhüllt eine gewisse Mystik. Ein weiteres tolles Album für das auslaufende Jahr 2016.