Inter [national] view – Die US-Vorwahlen

The face of this year's primaries: Donald Trump and his winning pose. As a person, Americans still can't tell if he is a joke - as a political actor he certainly is a threat. (Source: https://www.flickr.com/photos/gageskidmore/5440393641)

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Über die Nachrichten, neue Medien und Blogs werden wir täglich über soziale und politische Themen auf der ganzen Welt informiert. Manche dieser Themen sind uns so präsent, dass wir uns wie Experten auf dem jeweiligen Gebiet vorkommen, nachdem wir den sechzigsten Artikel dazu gelesen haben.
Futur drei startet eine neue Serie von Interviews mit den Experten, die uns nicht ständig für Gespräche zur Verfügung stehen: Incomings, die in ihren Heimatländern die Probleme und Themen, über die wir nur aus den Medien Bescheid wissen, hautnah erlebt haben. In dieser Woche hat sich Phillip mit Shaini & Molly getroffen, um sich mit ihnen über die Vorwahlen in den Vereinigten Staaten zu unterhalten und die Perspektive zweier Amerikaner auf US-Politik im Jahr 2016 kennenzulernen.

Es ist nicht gerade so, dass die deutsche Politik in diesen Tagen langweilig wäre. Die Flüchtlingskrise, Landtagswahlen in verschiedenen Bundesländern und Veränderungen in der Parteienlandschaft führen zu hitzigen Debatten und werden auf allen verfügbaren Nachrichtenkanälen thematisiert. Nichtsdestoweniger ist die US-Amerikanische Innenpolitik zurzeit fast ebenso prominent in den Nachrichten vertreten. Und nicht nur das. Seit einem halben Jahr wird sie ungewöhnlich ausgiebig thematisiert, und auch auf der anderen Seite des Atlantiks ist die Stimmung umgeschlagen.

Molly und Shaini, die beide seit drei Monaten in Deutschland sind, haben die Vorwahlen nicht so aufmerksam verfolgt, wie sie es in den Vereinigten Staaten getan hätten, aber beide sind besorgt. Als ich Molly aus Kansas frage, ob sich die politischen Diskussionen mit Freunden und Familie im Vergleich zu vor vier Jahren verändert haben, antwortet sie: „Oh ja, und wie. Das politische Klima hat sich in den vergangenen vier Jahren drastisch verändert.“ Shaini stimmt ihr zu, allerdings in dem Sinne, „dass es sich dabei um eine stetige Veränderung handelt. Wir haben auch schon vorher gedacht, dass das Klima aufgeheizt wäre – jetzt ist das noch mehr der Fall. Wir dachten nicht, dass es so aufgeheizt wie es jetzt ist werden könnte.“

Wenn wir Deutsche als Außenstehende über die Vorwahlen in den USA reden, geht es um Trump, Trump und Trump. Auch der kalifornischen Studentin Shaini ist das aufgefallen: „Seit ich hier bin scheint sich jeder nur für Trump zu interessieren, aber wenn ich etwas aus den USA höre, werden auch Clinton, Cruz und Sanders beachtet. Von dem Standpunkt, dass ich Kommunikation und International Studies studiere, ist es interessant zu vergleichen, wie alle anderen die USA sehen und wie die USA sich selbst sehen. Ich denke: Das ist ja nett, diesen Eindruck hinterlassen wir in der Welt – Trump.“

Beide Mädchen sind verwundert, dass sie zuallererst immer gefragt werden, ob sie denn für Trump stimmen würden. Ich versuche, ihnen die Faszination der Deutschen an Informationen aus erster Hand zu erklären: „Das will uns einfach nicht in den Kopf. Alle sehen, dass ihr Trump nicht wählen würdet, aber er wird trotzdem von einem großen Anteil der Wähler unterstützt. Das sind 35, vielleicht sogar 40 Prozent.“ Das scheinen aber viele Amerikaner nicht zu verstehen. „Am Anfang dachte ich, dass sich alle nur einen Witz daraus machen, weil ich einfach nicht glauben konnte, wie dumm er ist. Aber mittlerweile glaube ich, dass wir unsere Konzepte davon überdenken sollten, wie die Menschen ihre Wahlentscheidung treffen, vor allem im Vergleich zu vergangenen Wahlen. Das ist ein wirklich ernstes Thema. Ich dachte, wir wären fortschrittlicher“, sagt Shaini. Diese Selbstkritik und dieses Reflexionsvermögen erinnern mich daran, wie die Deutschen über ihre eigene politische Haltung sprechen. Ich frage die Mädchen, mit welchen Stereotypen sie hier in Friedrichshafen konfrontiert worden sind, und sie sagen beide das gleiche:
„Oft geht es darum, dass wir Amerikaner über wenig Bewusstsein für die Außenwelt verfügen, sondern eher ignorant damit umgehen, was in der Welt passiert… was zu einem gewissen Grad auch zutrifft, wie ich finde.“ Und Molly ergänzt zu ihrem Missfallen: „Es ist wirklich enttäuschend; da ist die ganze Welt, aber sie wollen nur einen Teil davon sehen.“
„Auf der Welt gibt es sieben Milliarden Menschen, zumindest auf einige von denen sollte man eingehen“, findet Shaini.
Das nächste kritische Thema, dem wir uns zuwenden, ist die Rolle der Medien in den Wahlen. Natürlich konzentrieren sie sich auf die spannendsten Geschichten und berichten über die Kandidaten, an denen die Leute am meisten interessiert sind. Aber Molly glaubt, dass der Einfluss in die andere Richtung noch stärker ist: „Partizipation hängt stark von den Medien ab. Sie sind einer der Gründe, dass Trump bisher so erfolgreich war: Er ist es, den die Medien thematisieren.“ Shaini berichtet mir von der anderen Seite des Wahlkampfes, von einer Freundin, die Bernie Sanders unterstützt („feeling the Bern”) und daher von jeder einzelnen der außergewöhnlichen Kundgebungen und Initiativen berichtet, die es gibt. „Sie postet all die Sachen, die die Leute für Sanders machen und über die CNN und FOX nicht berichten. Sie sagt immer wieder ‚Das ist die wahre Geschichte, wir haben hunderte von Menschen, die Wir lieben Bernie Schilder hochhalten, aber das sieht man im Fernsehen nicht‘.“

Den beiden Amerikanerinnen im Ausland zufolge ist die Begeisterung für Trump, Clinton oder Sanders, die wir beobachten können, nur vorübergehend. Beide haben gesehen, wie Obamas Kampagnen Menschen beeindruckt haben, die sich danach vier Jahre lang nicht um Politik geschert haben. Deswegen werden Inhalte, Programme und Konzepte im aufgeheizten Klima von 2016 hinten angestellt. „Deswegen kann Trump punkten: Es gibt viele Menschen, die immer noch diskriminierende Ansichten vertreten“ und „er weckt ihre Emotionen, nicht unbedingt ihre Gedanken zur Politik“, sagen die Studentinnen. Sie erleben den Effekt, den die Wahlkampagnen auf ihre Landsleute haben. Das Ergebnis sind Verwunderung und Unsicherheit: Beide wissen nicht genau, wen sie wählen würden, wenngleich ihre liberale und fortschrittliche Haltung sie für einen Außenstehenden wie klassische Demokratinnen wirken lassen.
Shaini denkt, dass ihre Unsicherheit keine Ausnahme ist: „Immer mehr Menschen wehren sich dagegen: Partei zu ergreifen für eine Partei. Sie schauen sich die Inhalte der Parteien an und denken ‚das unterstütze ich nicht‘. Sie wollen lieber unabhängig sein.“ Manche wählen auch dritte Parteien, aber niemand glaubt, dass diese etwas erreichen können.

Aus Neugierde frage ich: „Wenn ihr es euch aussuchen könntet, hättet ihr in den USA lieber eine Mehrparteiensystem?“
„Das habe ich ehrlich gesagt noch nie in Betracht gezogen“, lautet die ehrliche Antwort. Shaini und Molly sehen beide die potenziellen Vorteile, aber sie wissen auch, wie oft versucht wurde, neue Parteien zu etablieren, die danach von Republikanern oder Demokraten geschluckt wurden. Theoretisch wäre es eine gute Idee, aber die Amerikaner könnten sich nicht an eine solche Umstellung anpassen.

Ich bin wirklich erstaunt von den Eindrücken, die ich gewinnen konnte. Auf der einen Seite scheinen diese Vorwahlen eine Spur zu hinterlassen in der bereits gezeichneten politischen Landschaft. Auf der anderen Seite glaubt nicht einmal die junge Generation an eine baldige Veränderung. Zumindest nicht an eine positive…
„Jedes Mal, wenn ich sehe, wie Trump über internationale Politik redet, denke ich mir: Der hat nicht die leiseste Ahnung! Er würde die gesamte Außenpolitik hochgehen lassen und alle politischen Führer der Welt vergraulen, selbst die unserer Verbündeten. Die Leute hassen uns schon jetzt – ich will nicht wissen was passiert, wenn er gewinnt.“
Und wenn ihre Gebete erhört werden und er nicht gewinnt, wird sich die Lage so schnell wie sonst auch beruhigen. Als wir über die vergangenen Wahlen vor vier Jahren und über das Schicksal von Obamas ehemaligen Rivalen Mitt Romney reden, muss ich die Mädchen freundlich an dessen Namen erinnern.

„Wow. Ein Paradebeispiel für die Dummheit der Amerikaner“, ist Mollys schlagfertige Antwort. Wenn mehr Amerikaner ihre reflektierte und aufmerksame Seite entdecken würden, könnten diese (Vor-)Wahlen am Ende doch noch eine gute Wendung nehmen.