„Ich gebe den Bitches, was die Bitches verdienen.“

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Alle außer Mutti – warum ich als Frau deutschen Gangstarap höre, in dem die Angehörigen meines Geschlechts mit Ausnahme der eigenen Mutter objektifiziert werden.

Musik macht viel mit meinem Kopf, besonders morgens. Es gibt diese Tage, da muss es dann gleich schon Kollegah sein. Ich stehe auf, beginne meine Routine, währenddessen erzählt mir Kollegah wie geil er ist und wie viele Bitches er fickt. Er ist der Boss, der King, der Imperator. Kurz: Er dominiert – vor allem Frauen. Ich lasse mich von seinem Testosteronüberschuss bereitwillig mitreißen und fühle mich dann bereit für was auch immer da kommen mag.

Im Gangstarap sind die Texte frauenverachtend, gewaltverherrlichend und spielen in einer Welt, die so gar nichts mit meiner Realität zu tun hat. Im Verachtungswahn vor allen und allem außer sich selbst wird da sonst nur vor der eigenen Mutter Halt gemacht. Überraschend lange habe ich meinen eigenen Musikgeschmack in dieser Hinsicht jedoch überhaupt nicht hinterfragt. Dabei bin ich eine Frau. Eine Frau, deren Geschlecht allein, abgesehen von jeglichem Feminismus, sie Kollegahs „Zuhälter-Rap“ als abstoßend empfinden lassen sollte.

Warum höre ich die Musik aber trotzdem?

Bevor Gangstarap in mein Leben trat, habe ich mal Cro gehört, der wollte mir im Baby-das-beste-bist-du-Style meine süßen Mädchenträume wahrmachen. Heute macht er schlechte Kinofilme für die 14-Jährigen nach mir. Gangstarap ist hingegen in meiner Playlist geblieben. Cro war damals verliebt in die Idee der großen Liebe. Gangstarapper „lieben“ als Teil ihres Berufsethos Frauen, allerdings „Frauen“ im Allgemeinen, die Masse. Vor allem aber lieben sie Frauen im Bezug auf sich selbst. Rap-Songs wie eine neuinterpretierte Frauenquote: Frauen fungieren als beidseitiger Wirkungsverstärker der musikalischen Botschaft und je mehr von ihnen, desto stärker die Message. Sind sie heiß, erhalten sie das Prüfsiegel „Lady“ und verkörpern in letzter Instanz die Bestätigung der Männlichkeit und Potenz des Rappers. Dem Adressaten eines Disstracks werden sie dagegen als Anti-Trophäen zugeschoben. In diesem Fall sind sie natürlich fett, hässlich, dumm und haben dann auch noch keine Titten (und das Gegenüber natürlich keine Männlichkeit). Achso.

Demzufolge habe ich mich vom Weichspüler-Liebeslied recht zügig ans andere schwarz-weiße Ende des Spektrums entwickelt und dabei scheinbar irgendwie meinen Anspruch an die Wertschätzung von Frauen eingebüßt.

Ein kleines Gedankenspiel als Versuch einer Relativierung: Rap funktioniert und existiert nur im Selbstbezug. Jeder Disstrack und Song ist Produktion des eigenen Egos. Um sich als Rapper in seiner eigenen Wirkung zu pushen werden dabei standardmäßig Frauen objektifiziert, in ihrer Rolle stigmatisiert und es wird auch ansonsten fast wahllos mit Instrumentalisierungen um sich geschmissen. Rap ist also natürlich Show, Fassade und Inszenierung. Diese Feststellung nimmt den in den Songs instrumentalisierten Frauen, Kalaschnikovs und Lambos allerdings die individuelle Relevanz. Sie sind Platzhalter, dem Funktionalismus der Machtdemonstration unterworfen. Übertriebene Männlichkeitsgesten sind dabei Mittel zum Zweck.

In diese Richtung weitergedacht handeln Rap-Songs an sich sowieso nicht von Frauen als Individuen, sondern von leeren stellvertretenden Hüllen. Die Bitches, Hoes, Nutten, Muddas, Chicks und Schlampen sind eine gesichtslose Masse. Das Identifikationspotential, sich meinerseits angegriffen zu fühlen, ist somit quasi nicht existent. Noch dazu ist die Rap-Welt kuschlig weit von meiner Lebensrealität entfernt, das hebt die Toleranzgrenze enorm an.

Wie in vielen Interviews betont, meinen einige Rapper angeblich auch gar nicht das, was sie sagen. Abfällige Namen seien schlicht Bezeichnungen mit einer gesellschaftlich viel zu hart interpretierten Bedeutung. Tatsächlich ist ihre Wortwahl aber ziemlich eindeutig auszulegen, sobald ihre Songinhalte in Musikvideos visualisiert werden. Denn dann sind da auf einmal echte Frauen. Sie haben ein Gesicht und vor allem große Brüste. Wahrscheinlich sind sie jung und brauchen das Geld (hoffe ich zumindest). Es sind gerade diese Videoclips, die leider die öffentliche Meinung über Gangsterrap und damit auch die Objektifizierung von Frauen etablieren.

Gangstarapper aber erzeugen Exklusivität durch die Feststellung, dass die Fans sie angeblich verstünden (Kollegah: „Die Jugendlichen haben aber einen anderen Zugang dazu“) und zusätzlich Aufmerksamkeit, indem sich der nicht verstehende Rest an dem mechanisch plumpen Pöbeln aufreibt.

Selbsterklärend bewegt sich Gangstarap so auf einem schmalen Grat zwischen Satire, Selbstdarstellung und Verantwortungslosigkeit. Aus großem Bizeps erwächst nun mal aber auch große Verantwortung und so sollte das gängige Jargon im Gangstarap ruhig als weniger selbstverständlich wahrgenommen und auch mal hinterfragt werden.

Für mich selbst ist der Inhalt der Rapsongs allerdings gar nicht so spezifisch, wie er scheint. Vielmehr werden Emotionen in Worte übersetzt, die, wie Kollegah und andere hervorheben, die Kultur des Raps widerspiegeln, einen gewissen Verhaltenskodex, der politischer Korrektheit aus Prinzip widerspricht.

Sich auf ein „So meinen die das also doch gar nicht.“ zurückzuziehen wäre letztendlich zu kurz gedacht. Die erwähnte Bedeutungsübertragung von Bitches und Lambos auf Gefühle wie Stärke und Selbstbewusstsein vollziehe ich selbst jedoch auch: In meinem Kopf schneide ich die Aussagen so zu, dass sie auf mein Leben passen. Aus den Nutten der Songs werden die, denen ich es beweisen will. Ich kann mich also nicht direkt identifizieren, aber diese Rap-Blase von nicht zu hinterfragender Überlegenheit erinnert einen an die manchmal notwendige Selbstverständlichkeit von Selbstbewusstsein. Einfach mal mit einem gewissen mehr an „fuck you“, als man es von alleine aufbringen kann, hinaus in die Welt hüpfen ist hin und wieder schon hilfreich. Letztendlich filtere ich also für mich passende Emotionen für bestimmte Lebenslagen aus Rapsongs.

Vorrangig bin ich aber amüsiert. Ich höre Gangstarap, um ein bisschen zu schmunzeln, mich ein bisschen in angenehmer Distanz über all die Rap-Bosse da draußen zu stellen, weil sie so offensichtlich Scheiße reden, dass ich es nicht mehr ernst nehmen kann, und um gelegentlich etwas Bosshaftigkeitsüberschuss für mich selbst abzugreifen. Wer es also nötig hat, seinen Testosteronüberschuss musikalisch abzulassen: ich bedanke mich, sharing is caring.

Passenderweise habe ich beim Schreiben dieses Textes übrigens Annenmaykantereit gehört. Da spielt man für mich noch barfuß am Klavier.