“Heute sollten wir mal aufhören, zu gehorchen.”

Kunst, Kritik oder Schikane? Diese Bilder von Unipräsidentin Sjurts haben am vergangenen Mittwoch für heftige Diskussionen gesorgt.

Am vergangenen Mittwoch sind in der Uni mehr als 320 Bilder von Präsidentin Sjurts aufgehängt worden: In Grautönen, die Augen durch einen Schriftzug “Obey” verdeckt. Die Initiatoren hinter den Plakaten blieben anonym, während in der Universität und auf Facebook die Diskussion begann. Darf man das? Darf man das abhängen? Und vor allem: Wie ist diese Aktion überhaupt gemeint? Futur drei hat die anonymen Plakatierer getroffen und ein Streitgespräch mit ihnen geführt.

Futur drei: Ihr habt mit eurer Plakataktion für heftige Diskussionen gesorgt. Wolltet ihr so viel Aufmerksamkeit erregen? Und wolltet ihr vor allem diese Art von Aufmerksamkeit erregen?

Obey: Die Antwort auf die erste Frage ist ganz klar: Ja. Wir haben unser erstes Ziel zu 100 Prozent erreicht. Die Leute anzuregen, darüber zu sprechen, was diese Aktion überhaupt sollte. Und das ist auf jeden Fall geschehen. In welche Richtung der Diskurs geht und ob die Menschen das gut oder schlecht finden, ist dann deren Entscheidung. Und über dieses Gespräch haben wir jetzt natürlich auch ein Format, um die Diskussion nicht unbedingt über die Facebook-Gruppe weiterzuführen.

Futur drei: Und ihr könnt Inhalte in die Diskussion einbringen. Die habt ihr nämlich auf den Plakaten weggelassen.

Obey: Die Inhalte stehen ja zur Interpretation offen. Wir haben einfach versucht, mit einer gewissen Lautstärke eine gewisse Resonanz zu schaffen. Die Leute sollten sich mit der Aktion kritisch auseinandersetzen. Wir haben ja keine konkrete Forderung.

Futur drei: Also Lautstärke um der Lautstärke willen? Effekthascherei um des Effekts willen?

Obey: Nenn‘ es gerne Effekthascherei, oder Lautstärke, aber um der Diskussion willen. Eine Diskussion darüber, wie wir an der Uni mit so einer Aktion umgehen. Sollen eine oder zwei Personen entscheiden, dass ihnen die Plakate nicht gefallen und sie deshalb für alle anderen abhängen? Damit berauben sie ja die anderen der Möglichkeit, über die Aktion zu reflektieren. Von solchen Aktionen gab es in letzter Zeit sehr wenige. Und es wäre schön, wenn es wieder mehr davon gäbe.

Es ist ein klarer Wunsch von uns, dass mehr Diskussionen über unkonventionelle Wege geführt werden. Und weniger über die schon vorgeschriebenen Kanäle, die wir so haben – seien es jetzt Gremien, Senatoren oder Vizepräsidenten. Wie sollen die auch unsere pluralistische Meinung ansprechend präsentieren können? Deswegen sind wir auch anonym geblieben – es sollte bei der Diskussion nicht um uns, sondern um die Diskussion gehen.

Futur drei: Die Anonymität kann euch auch als Feigheit ausgelegt werden.

Obey: Das ist okay für uns. Aber feige wäre es in unseren Augen gewesen, jetzt nicht mit Futur drei zu reden.

Futur drei: Mit euren Plakaten habt ihr gezeigt, dass man unkonventionelle Wege gehen kann. Aber wäre es nicht ein Anfang, die offiziellen Wege erst einmal auszuschöpfen? Zum Beispiel die Senatssitzungen zu besuchen?

Obey: Aber wir sind ja nicht besser als andere Leute. Deswegen sehen wir uns auch nicht in der Position, einzufordern, dass man da hingehen soll. Unsere Aufforderung ist: Macht mal! Macht irgendwas! Wir finden die Gremienarbeit auch nicht obsolet, und die geringe Beteiligung ist auf jeden Fall ein valider Kritikpunkt. Aber vielleicht ist sie auch ein Zeichen dafür, dass das für viele Leute als Medium nicht ausreichend ist. Kultur ist ja immer das, was zwischen den Menschen passiert. Und wenn man das zu sehr institutionalisiert, nimmt man den Einzelnen auch ein Stück weit aus der Verantwortung. Wollen wir uns wirklich auf den Institutionen ausruhen? Und gerade die Senatoren haben mit ihrem Amt neben dem Studium noch einen Fulltimejob. Die können nicht auf jedes Einzelinteresse der 1.300 Studierenden eingehen. Deswegen müssen wir Studierenden das abbilden, was uns in diesem Moment gerade wichtig ist.

Futur drei: Eure Forderung war es also, ausgetretene Wege zu verlassen, ein freieres und kreativeres Studentenleben?

Obey: Und die Universität wieder zu einem Experiment zu machen. Das war sie einmal und ist es nicht mehr. Eben weil die Wege schon ziemlich ausgetreten sind.

Futur drei: Was glaubt ihr hält Insa Sjurts von eurem Experiment?

Obey: Das wissen wir nicht. Wir befürchten aber, dass sie es persönlicher nimmt, als es gemeint war.

Futur drei: Schließlich habt ihr eure Aktion an ihrem Gesicht aufgezogen.

Obey: Wir haben Insa Sjurts angedeutet anonymisiert. Es ging weniger um sie als Person, deswegen waren ihre Augen weg. Sie ist eine Symbolfigur für die Uni und die Kommunikationskultur, die hier herrscht. Und wenn man Kritik symbolhaft ausdrücken will, wendet man sich ja wohl direkt an dieses Symbol. Außerdem ist sie eine Person des öffentlichen Interesses an der Uni. Wären jetzt noch Jansen oder Kieser Präsidenten, hätten wir eben deren Gesichter genommen. Durch das Bild werden die starken Strukturen ausgedrückt, die hier herrschen. Sie ist eigentlich nicht da, aber diese 320 Bilder, auf denen „Gehorche“ steht, sagen: Du folgst sowieso den Regeln.

Und wir finden es ganz komisch, dass die Bilder sofort wieder abgehängt wurden. Wenn das hier unsere Universität ist, wieso berauben dann Einzelne uns alle der Legitimation, darüber zu entscheiden, ob wir das gut oder schlecht finden?

Futur drei: Also hättet ihr euch zuerst eine Abstimmung unter den Studierenden gewünscht, ob diese Bilder jetzt abgehängt werden dürfen oder nicht?

Obey: Überhaupt nicht. Es geht ja auch nicht darum, ob das abgehängt werden darf. Aber wir fanden es anmaßend, dass da jemand gesagt hat: Ich finde das kacke und sag jetzt mal, dass es für alle kacke ist, und deswegen räume ich das jetzt für alle weg. Damit zeigt man doch, wie konform manche Menschen hier sind.

Futur drei: Aber die Bilder wurden ja dennoch auf Facebook gepostet und diskutiert.

Obey: Es waren zwei Bilder, die gepostet wurden, dabei war es eine viel größer angelegte Aktion. Es gab zum Beispiel keine Bilder von den DIN-A3 Plakaten, die quer über den Hof hingen. Der Gesamteindruck wurde verzerrt durch die Selektion einer Person, die zwei Bilder gepostet hat. Egal welche Aktion, egal von welchen Studierenden: Kritik muss erst einmal im Raum stehen.

Futur drei: Ihr habt vorhin gesagt, dass die Uni ein Experiment ist und wir untereinander ausmachen müssen, wie wir mit solchen Aktionen umgehen sollen. Die Person, die das abgehängt hat, hat genau das gemacht. Sie hat durch das Abhängen eurer Installation den Impuls fortgeführt und euch dabei eben aus der Hand genommen.

Obey: Wir wollen ja nicht nur provozieren, sondern eine Diskussion ermöglichen. Und diese Diskussion hat sie abgebrochen.

Futur drei: Sie hat die Diskussion befeuert.

Obey: Jeder, der das gepostet hätte, hätte die Diskussion befeuert. Durch das Abhängen wird die Diskussion nicht befeuert. Wir leben ja nicht in einem digitalen Raum. Und es müssen sich auch nicht immer alle wohl fühlen. Es kann an der Universität ruhig auch mal Sachen geben, die anecken. Wir dürfen das aber deswegen nicht abhängen.

In diesem Fall ging es ja nicht nur um persönliche Ablehnung gegenüber der Aktion. Da wollte jemand nicht, dass wir Studenten das Präsidium kritisieren.

Futur drei: Falsch. Da wollte jemand nicht, dass wir auf eine persönliche Ebene gehen mit dem Präsidium. Was diese Zuspitzung auf die Person Insa Sjurts…

Obey: …als Person des öffentlichen Lebens…

Futur drei: …mit sich bringt.

Obey: Wenn Frau Sjurts die Plakate als Beleidigung empfunden hat, wollen wir uns dafür entschuldigen. Aber sie sollte diese Kritik auch aushalten können. Die Diskussion, die wir anstoßen wollten, sollte im Grunde darum gehen, für wen diese Uni existiert. Und das sind in erster Linie die Studenten und die Lehre, die sind notwendige Bedingungen für eine Universität. Und das Präsidium, die Verwaltung, all diese Dinge, die drumherum geschehen, sind auf jeden Fall wichtig, aber lediglich hinreichende Bedingungen. In erster Linie ist diese Universität für uns da und deswegen sollten wir entscheiden, wie diese Universität genutzt wird, wie dort diskutiert wird und wie kommuniziert wird. Und da dürfen wir ruhig mal anecken.

Futur drei: Anecken ja. Aber wir sind 1.300 Studierende. Da brauchen wir eben gewisse Regeln und einen guten Umgangston, die ein gutes Zusammenleben ermöglichen. Dass zum Beispiel eine Person nicht in Grautönen, mit fast schon diktatorischen Zügen dargestellt wird.

Obey: Wir befinden uns in der Freiheit, uns mit Bildung und mit Lehre zu beschäftigen, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Und das tut dann vielleicht auch manchmal weh. Und ich würde immer ein Zusammenleben vorziehen, in dem Menschen frei sein können, anstatt sich zu regelkonform verhalten zu müssen, um ja keinem auf den Schlips zu treten. Wir haben ja nichts gegen die Strukturen, die wir brauchen. Deswegen wollen wir aber, dass die gesamte Studierendenschaft noch mehr mitdenkt und noch mehr mitstreitet. Und Regeln dürfen nicht statisch gesehen werden. Es geht aber auch um Regeln in unserem Kopf, die wir nicht brauchen. Und die kann man brechen.

Und ob wir Frau Sjurts diktatorisch dargestellt haben ist eine Frage der Interpretation. Aber um das richtig in diese Richtung zu drehen, hätten wir noch ein paar andere Artefakte gebraucht. Da hätten wir jedes Bild schön einrahmen und über die Tür hängen müssen. Da gibt es eine ganz klassische Bildwelt, die wir hätten erschaffen müssen. Aber Frau Sjurts ist eben eine Person des öffentlichen Interesses der Uni. Und von der müssen wir uns ein Stück weit lösen. Wir sind nämlich für uns da, und nicht für irgendjemand anderen.

Futur drei: Aber, wenn ihr euch auch in der Diskussion von Frau Sjurts löst, wieso nehmt ihr dann ihr Bild?

Obey: Wir wissen, worauf du hinauswillst, aber es gibt kein besseres Symbol, um Kommunikationskultur an der Uni anzusprechen. Wir sagen: „Frau Sjurts wird’s schon richten für uns.“ Bullshit! Herr Jansen sollte es doch auch nie für uns richten. Es geht darum, dass wir es selbst für uns richten. Und um diese Kritik anzubringen, muss man in der Hierarchie ganz oben ansetzen.

Futur drei: Aber diese Stoßrichtung, die ja nur eine von vielen möglichen Interpretationen ist, habt ihr komplett verwischt dadurch, dass ihr keine Inhalte transportiert habt und euch anonym aus der Diskussion ausgeklinkt habt. Bis jetzt.

Obey: Hat Goethe bei seinem Faust eine Interpretationshilfe dazugelegt?

Futur drei: Aber Faust war ja kein Zeitgenosse von Goethe.

Obey: Dann sagen wir: Ein Künstler malt ein Bild. Dann schreibt er ja auch nicht drüber, was er damit meint.

Futur drei: Ja, aber dann nehmt ihr auch bewusst in Kauf, dass sich Frau Sjurts verletzt fühlt. Nicht die Symbolfigur, sondern die Person.

Obey: Ja, das ist das, was man bewusst in Kauf nimmt. Aber als Chef einer Organisation muss man mit Kritik umgehen können. Wir haben halt diese Form der Kritik gewählt, und die spricht nur für uns. Wir wünschen uns, dass andere Leute ihre eigene Form der Kritik zum Ausdruck bringen. Sei es über Gremien, sei es über Aktionen, welches Medium auch immer.

Futur drei: Wäre dann nicht ein Symbolbild für einen gehorchenden Studenten besser gewesen?

Obey: Wir haben jetzt 320 Bilder von Insa Sjurts, wo „Gehorche“ drüber steht. Wir gehorchen den Dingern. Wir gehorchen den ganzen Regeln, die wir uns mit Anfang 20 geben. Wir haben das ganze Leben lang Regeln vor uns. Heute sollten wir mal aufhören, zu gehorchen.

3 Comments

  • Alex sagt:

    Ich bin momentan im Auslandssemester und konnte die Aktion nicht “live” betrachten, daher habe ich hierzu keine Meinung.
    Allerdings möchte ich ausdrücklich sagen, dass ich die Ideen, die “obey” hier von sich gibt, absolut unterstützenswert finde. Ich bin seit gut einem Jahr an der ZU, kenne die ZU aber schon länger, das was ich in den letzten Semestern dort erlebt habe, hat in meinen Augen sehr, sehr wenig mit dem ursprünglichen Kern der ZU zu tun. Klar, darf der Kern sich genauso wie die Regeln verändern, dann jedoch sollte die ZU fairerweise aber auch ihr Marketing anpassen.
    Allgemein ist das vor allem auch unsere ZU, selbst wenn wir sie mit unseren Studiengebühren nicht tragen können, daher ist Mitgestalten angesagt, manchmal auch unkonventionell – und klar, persönliche Angriffe sind kein adäquates Mittel der Mitgestaltung, allerdings kann man in seinem Eifer auch mal über die Strenge schlagen – dann gilt es auch hier Verantwortung zu übernehmen, ebenso wie bei der aktiven Teilhabe.
    Wichtig ist für unseren gemeinsamen Fortschritt, dass sich die Diskussion dann aber an den Inhalten orientiert.

  • Manuel Neumann sagt:

    Ich kann mich dem Kommentar von Ute-Marie nur anschließen. Der Gedanke, unsere Universität auch außerhalb der traditionellen Kanäle zu formen, in Frage zu stellen und ruhig auch mal Protest zu formulieren ist ja echt gut, aber ich kann beim besten Willen diesen Aspekt nicht in der Aktion finden. Sie erschien eher unkonkret und inhaltslos. Zudem bediente sie sich meiner Ansicht nach auch an billigen, unreflektierten Kritikmustern, die uns in einer unkonstruktiven, weil missverständlichen Situation zurücklassen.

    Dennoch vielen Dank für dieses Interview. Schön, dass es zu Stande kam und super, dass ihr, futur3, diese Platform geboten habt.

  • Ute-Marie Reichert sagt:

    Spannender Ansatz, leider schlecht umgesetzt. Die Botschaft kam überhaupt nicht an, es kam genaugenommen gar keine Botschaft an, außer die dass es irgendein Problem mit Frau Sjurts gibt. Also, das war doch ein Schuss in den Ofen! Ohne diese Interview wäre die Aktion völlig verpufft und auf ewig ein Rätsel geblieben. So haben sie grad noch die Kurve gekriegt und haben alles ins Licht einer politisch motivierten Inszenierung gebracht. Eine Entschuldigung bei Frau Sjurts ist dennoch angebracht.

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