Gott an der Garderobe abgeben

Quelle: http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Linke-wirbt-mit-Papst-Plakat-Bistum-distanziert-sich-id36926042.html

Michail Gorbatschow, der ehemalige Staatspräsident der Sowjetunion, soll Papst Johannes Paul II. in einer Privataudienz gesagt haben: „Ohne Sie, Heiliger Vater, wäre die Berliner Mauer nicht gefallen.” Der Papst lehnte diese Verknüpfung seiner Person mit dem Fall der Mauer stets ab, jedoch kann nicht geleugnet werden, dass das Oberhaupt der Katholischen Kirche eine zentrale Rolle im Niedergang des Eisernen Vorhangs gespielt hat. Auch teilte Gorbatschow die Verehrung der Mutter Gottes mit dem Pontifex und bestätigte ihm in einer Privataudienz, dass er sich intensiv mit den Weissagungen von Medjugorje beschäftigt hatte, bevor er das Abkommen zur atomaren Abrüstung mit den USA unterzeichnet habe.

 

Viel zu oft hört man heutzutage den Satz: „Die Kirche muss sich aus allen gesellschaftlichen und politischen Diskursen heraushalten! Staat und Kirche sind strikt zu trennen!“. Gewiss, gegen eine vernünftige säkularisierte Separation der beiden Institutionen ist nichts einzuwenden, diese ist vielmehr zu befürworten und als Errungenschaft der Moderne anzuerkennen. Wer jedoch gar eine Abschottung der religiösen Überzeugungen aus den alltäglichen Belangen der Menschen – auch der Politiker – fordert, hat zumindest das innerste Wesen des Christentums nicht verstanden. Bei einer konsequenten Vermeidung von Überschneidungen politischer und religiöser Belange, hätte auch Johannes Paul II. nie eine solch einflussreiche Position während des Kalten Krieges vertreten können. Strikt zu Ende gedacht, hätte er sich nicht einmal zu einer politischen Angelegenheit äußern sollen und so – glaubt man Gorbatschow – wäre vielleicht der 9. November 1989 nicht möglich gewesen. Eine überzeugende Argumentation, weshalb sich die Kirche aus allen gesellschaftlichen und politischen Prozessen heraushalten sollte, ist daher schon aus dem bereits aufgeführten Beispiel zu kurzsichtig und soll in diesem Artikel zumindest im Ansatz und in aller Kürze widerlegt werden.

 

Der geführte Diskurs um den Ausschluss der Religion aus dem Alltäglichen und die Verbannung ins Private, zielt nicht immer auf solch wichtige Fragen der Weltpolitik ab. Vielmehr wird oftmals bereits die gedankliche Miteinbeziehung der christlichen Werte in gesellschaftlich-politische Entscheidungen als unberechtigten Einfluss der Kirchen deklariert. Dagegen ist entscheidend zu protestieren: „Überproportional viele Christen bringen sich auch politisch ein und stärken dadurch die Demokratie. Grund genug für den Staat, den Einsatz zu würdigen und zu unterstützen. […] Wem Gott wichtig ist, kann seine religiöse Identität nicht einfach an der Garderobe abgeben […]“, schreibt die unter Theologen vielbeachtete Herder-Korrespondenz aus Freiburg. Eine Privatisierung und eine „nur zu Hause ausübende Religion“ verfällt in Fundamentalismus, schottet sich ab, dreht sich um sich selbst und entspricht auch nicht dem christlichen Sendungs- und Handlungsauftrag, wie er in den Schriften des Vatikanum II ersichtlich wird. Dies bedeutet nicht, dass man sich beinahe fürchten muss, von einem Christen bekehrt zu werden; es geht schlichtweg um die Befähigung aus dem christlichen Glauben heraus authentisch für – beispielsweise – Umweltschutz, Minderheiten oder Demokratie und Rechtstaatlichkeit einzustehen. Auch Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, würdigt als Katholik in einem Interview beispielsweise eine gewisse Einflussnahme der eigenen Person im Umgang mit sozialer Ungerechtigkeit durch den christlichen Glauben: „Wir dürfen nie zulassen, dass Armut die Würde des Menschen untergräbt. Wenn jemand nicht selbstbestimmt und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen kann, weil ihm die wirtschaftlichen Voraussetzungen dazu fehlen, dann ist er ausgegrenzt. Das ist eine Kernbotschaft des Christentums, die natürlich unglaublich politisch ist.“ Im Christentum ist also durchaus eine politische Tendenz zu verorten, die Strahlkraft besitzt und durch das Handeln der Gläubigen in der Gesellschaft getragen werden muss. Der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes – einem fundamentalen Schreiben des Vatikanum II – lässt sich 1965 bereits entnehmen, dass die Kirche anerkennt, „was an Gutem in der heutigen gesellschaftlichen Dynamik vorhanden ist, besonders die Entwicklung hin zur Einheit, den Prozess einer gesunden Sozialisation und Vergesellschaftung im bürgerlichen und wirtschaftlichen Bereich“ (GS 42). Und weiter heißt es dort: „Sie [die Kirche] selbst hat keinen dringlicheren Wunsch, als sich selbst im Dienst des Wohles aller frei entfalten zu können unter jeglicher Regierungsform, die die Grundrechte der Person und der Familie und die Erfordernisse des Gemeinwohls anerkennt“ (ebd.). Die Einheit der Menschheit soll demnach durch das Handeln aller Gläubigen erfolgen, sodass sich ein jeder frei und zu seinem Wohl hin entfalten kann. Jenes Ziel wird nicht durch die Privatisierung der Religion und der Verbannung der christlichen Grundhaltungen in den eigenen Haushalt erreicht. Das kann nur gelingen, wenn ein überzeugendes und reifes Auftreten aus der christlichen Gemeinschaft heraus im Alltag zu erkennen ist und von allen Gläubigen authentisch gelebt wird. Dies beinhaltet jedoch auch die unbedingte Positionierung von katholischen Vertretern zu gesellschaftlichen Vorgängen. Dem sollte eine grundlegende und auch kritische Auseinandersetzung in Politik, Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Kirche folgen, in dem ein jeder seine Meinung kundtut. Eine Eimischung im Rahmen von gesellschaftlichen Diskursen ist also auch den Kirchen unbedingt vorbehalten. Oftmals werden auch jene Meinungswidergaben der Kirche vergessen, die vielleicht sogar im allgemeingültigen und mehrheitlichen Interesse vieler Deutscher sind. Dafür ist natürlich im Sensationsjournalismus kein Platz. Ein Baum der fällt macht eben doch mehr Lärm, als ein Wald, der wächst. Viel zu oft strebt man sich nur gegen eine kirchliche Positionierung, wenn diese sozusagen konträr zur gesellschaftlichen Meinung verläuft, wie beispielswiese bei der Ehe für Homosexuelle. Auch diesen Dissens mit dem Großteil der Deutschen muss eine Demokratie ertragen. Offensichtlich hat sich jedoch niemand medienwirksam kritisch gegenüber den Äußerungen einiger französischer Bischöfe ausgesprochen, als diese sich gegen Marine Le Pen als mögliche Präsidentin gestellt haben: Der Erzbischof von Poitiers, Pascal Wintzer, sagte damals: “Wir sind in einer schwierigen politischen Situation. Ich wüsste nicht, warum wir uns als verantwortliche Religiöse nicht äußern sollten“

 

Kardinal Walter Kasper – ehemaliger Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen – drückt dies in einem kürzlich erschienenen Buch so aus: „Die Kirchen lassen sich darum nicht auf den privaten Bereich beschränken; sie müssen Salz der Erde und Licht der Welt sein (Mt 5,13 f) und im Interesse der Menschen öffentliche Verantwortung wahrnehmen. Sie sollen sich nicht in die weltlichen Angelegenheiten einmischen, sie müssen aber den Gläubigen und allen Menschen guten Willens Licht und Kraft geben für ihren Dienst in der Welt (Gs 42 f)“. Und weiter schreibt dieser: „Heute treten die Kirchen gemeinsam ein für die von Gott gegebene Würde jedes Menschen wie für die Solidarität aller Menschen und für den Frieden und die Versöhnung in der Welt; gemeinsam widersetzen sie sich der ‚Vergötzung’ der Nation, der Klasse und Rasse, der Wirtschaft und des Kapitals, der Sexualität und dem Kult der Gesundheit und des Wohlstandes. Sie treten ein für Gerechtigkeit und Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung“. Ich bin – so glaube ich – ein offener Mensch. Jedoch konnte mir bei aller Diskursfreudigkeit, die ich an den Tag lege, noch keiner erklären, wie eine solch verstandene Einmischung in die Welt von heute, negativ zu bewerten sei.

Grundsätzlich sollte bei der freien Einbeziehung von religiösen Überzeugungen natürlich nicht von Debatten ausgegangen werden, die eine tiefgreifende politische Wirkung nach sich ziehen – doch auch dies ist nicht zu verurteilen, wenn sich die geäußerte kirchliche Meinung innerhalb des demokratischen Spektrums befindet.

Der Magdeburger Bischof Feige sagte, dass sich Christen öffentlich zu Wort melden sollten, „wo das Leben und die Würde von Menschen auf dem Spiel stehe“. Dies schließt christliches Engagement ein, wenn es für demokratische Verhältnisse im jeweiligen Land sorgt. Besonders eindrücklich und vermutlich in Übereinstimmung mit der mehrheitlichen deutschen Gesellschaft sagt der Bischof zu Übergriffen auf Migranten und Asylbewerber: “Hierzu können wir unmöglich schweigen. Vor allem auch, wenn manche meinen, ein sogenanntes christliches Abendland und seine Werte mit unchristlichen Methoden retten zu wollen”. Hier wird ersichtlich, dass die kirchliche Sprachkraft und Überzeugung besonders dort eingesetzt werden muss, wo andere unterdrückt werden und nicht – wie so oft befürchtet wird – um innerkirchliche Themen missionarisch zu vergesellschaften. Wenn die Kirche sich bei einem solch brisanten Thema wie bedürftigen Asylbewerbern nicht äußert und ihr politisches Gewicht geltend macht, könnte sie sich auch gleich selbst abschaffen. Besonders bei Diskussionen und Themenschwerpunkten, wo Menschen zurückgesetzt werden und ihr intrinsischer Wert nicht zur Geltung kommt, muss die Kirche und jeder Gläubige sogar die Stimme erheben. „In diesem Sinne sei der Glaube immer auch politisch“, so Feige. Die Kirche sei zwar keine Partei, aber durchaus berechtigt, „den Weg der Gesellschaft und des Staates mitzugestalten und gegebenenfalls auch manchem zu widersprechen“. Dies gehöre zur Religionsfreiheit. Der Glaube sei „eben nicht – wie es manche vielleicht meinen – nur eine private Gefühlsduselei, sondern betrifft den ganzen Menschen in all seinen Beziehungen“, betonte Feige.

 

Beginnend habe ich mit einem imposanten welthistorischen Beispiel eingeleitet, abschließen möchte ich diesen Artikel ebenso mit zwei Sternstunden der päpstlichen Diplomatie: Nach 55 Jahren – so schrieb Die Zeit – haben die USA eine Beendigung des Handelsembargos gegen das sozialistische Kuba im Sommer 2015 beschlossen. Dies wurde vom kubanische Außenministerium nach langen Verhandlungen verkündet. „Nach Angaben des Weißen Hauses lobten beide die Vermittlungsrolle des Papstes bei der Überwindung der seit der kubanischen Revolution bestehenden diplomatischen Eiszeit.“

Weiterhin nahm der Papst eine Schlüsselrolle bei den vierjährigen Verhandlungen im kolumbianischen Konflikt zwischen Regierung und der FARC-Guerilla Gruppe ein, die 2016 beendet wurden. „In dem jahrzehntelangen Konflikt zwischen Staat und Guerilla starben rund 300.000 Menschen; mehr als sieben Millionen wurden zu Binnenflüchtlingen. Ohne Papst Franziskus hätte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos bei den erfolgreich abgeschlossenen Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla „das Handtuch geworfen“: Das hat der Friedensnobelpreisträger am Dienstag berichtet. Dass die marxistische Gruppe am Dienstag erstmals in der Geschichte einen Waffenstillstand unterzeichnete, sei eine „wichtige Nachricht, die man durchaus als erstes Wunder des Papstes sehen könne“, berichtete Radio Vatikan.

Hätten auch diese politischen Interventionen des Papstes und des Heiligen Stuhls unterbunden werden sollen, nur, weil diese Verhandlungen sich auf einen religiös motivierten Schiedsrichter gestützt hatten? Oder rechtfertigt der positive Outcome die Einbeziehung des Papstes als neutraler Vermittler? Dieser kann Gott zumindest nicht an der Garderobe abgeben – und das ist auch gut so.