Dokumente gescheiterter Utopien

In der White Box zeigt Gregory Sholette sein „Imaginary Archive“. Ein Ausstellungsbesuch.

Dem aufmerksamen Studentenauge wird nicht entgangen sein, dass sich in der White Box unter dem Torbogen seit dem Sommerfest eine ganze Menge Bambusstäbe befinden. Die Stabkonstruktion bildet die Ausstellungsfläche für ein seit fünf Jahren bestehendes Projekt des amerikanischen Künstlers Gregory Sholette und weiht damit die White Box als Ausstellungsraum im Herzen des neuen Hauptcampus der ZU ein.

Sholette, Mitglied des politischen Künstlerkollektivs Gulf Labour Coalition und zudem Autor mehrerer kunstmarktkritischer Bücher, hielt bei der diesjährigen Biennale in Venedig einen Vortrag über moderne Formen des künstlerischen Aktivismus. Unter dem Titel „Imaginary Archive“ lädt er seit 2010 Teilnehmer aus aller Welt ein, fiktive und reale Dokumentevon verworfenen Plänen, gescheiterten Utopien und alternativen Zukunftsverläufen, zu einer sich fortlaufend vergrößernden Sammlung hinzuzufügen. Friedrichshafen reiht sich nun in die Liste an Ausstellungsorten wie Wellington, Galway, Kiew und Philadelphia ein. Wie auch in den bisherigen Ausstellungsstädten sollten Aspekte der örtlichen Kultur und Politik in das Archiv einfließen. Dass sich dieser Anspruch in der oberschwäbischen Kleinstadt am Bodensee weniger spektakulär umsetzen ließ, als etwa in Kiew, mag für viele auf der Hand liegen. In der ukrainischen Hauptstadt fand seine Ausstellung im Frühling 2014 unter mehr als spannungsreichen politischen Verhältnissen statt. Die drei gezeigten  Werke aus der Bodenseeregion erzeugen dementsprechend kaum Aha-Erlebnisse beim Betrachter. Interessanter erscheint da die Kollaboration mit dem am Bodensee ansässigen Baukünstler Marcel Kalberer. Wie auch Sholette arbeitet dieser mit dem Selbstanspruch, seine Werke in aktiver Zusammenarbeit mit seiner Umgebung zu gestalten. So entstand das erwähnte Bambusdisplay in Zusammenarbeit mit freiwilligen Erstsemestlern, welche einzelne

Stäbe aneinanderfügten und so eine Liege-, Stell- und Hängefläche für die Objekte des imaginären Archivs schufen.  Wild durcheinandergewürfelt reihen sich hier Visionen des radikalen Feminismus an niemals realisierte Baupläne und Einladungen zu fiktiven Veranstaltungen. Viele der Arbeiten lassen einen das eine oder andere Mal schmunzeln: der Buchtitel „MoMa Communist Highlights“,„Adorno’s Book of Humor“ oder die griechische Installation „GRD“. Diese bietet dem Besucher die Möglichkeit  mithilfe von alten Telefonbüchern und Stempeln seine eigenen Banknoten zu drucken. Und seien wir mal ehrlich: wer wollte noch nie sein eigenes Geld drucken? Andere Installationen fordern eine intensivere Auseinandersetzung, damit ersichtlich wird, welche Utopie sich hinter ihnen verbirgt. Wer eines der Objekte zu diesem Zweck genauer betrachten will, hat die Möglichkeit, dies in aller Ruhe zu tun. Die am  Bambus-Display hängenden Ausstellungsstücke können abgenommen werden und in der Mitte des Raumes lädt ein einem großer, ebenfalls aus Bambus gefertigten Tisch,  zum Verweilen ein.  Hier können „was wäre, wenn?“-Gedankenspiele gesponnen, die Kontingenz historische Ereignisse reflektiert und vergessene Utopien neu zum Leben erweckt werden.

Interesse geweckt?

Die Ausstellung ist noch bis Ende November immer Dienstags bis Donnerstags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.