Debatte ohne Lösung – Spaß am Stiere-Töten

Berechtigung im Alter? Stierkämpfe sind seit Jahrhunderten gleich - was sagt also eine grundlegend andere Gesellschaft zu dieser Tradition?

Adam sucht Eva, Super Bowl oder Musikantenstadl: Gerade, wenn es um jegliche Form der Unterhaltung geht, sollte man über Geschmack wirklich nicht mehr streiten. Wir tun es trotzdem, schließlich gibt es Unterhaltungsformate, die noch kontroverser sind als das Neo Magazin Royale. Den Stierkampf zum Beispiel. Health-Trends, Nachhaltigkeitshypes zum Trotz gibt es diese Tradition noch. Aber hat sie auch noch eine Daseinsberechtigung?

Wir lassen ab jetzt Aspekte außen vor, sind blauäugig oder überkritisch und vertreten nicht unsere eigene Meinung, um uns der ideologischen Frage zu widmen: Sollten Stierkämpfe in jeglicher Form ein für alle Mal verboten werden?

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Eine Tradition aus dem Mittelalter

Befürworter des Stierkampfes argumentieren hauptsächlich damit, dass er in Spanien und teilweise auch in Portugal und Südfrankreich Tradition ist und deshalb nicht verboten werden sollte. Ja es stimmt, der Stierkampf ist dort Tradition, und ein Verbot würde diese Jahrhunderte alte Tradition zerstören. Schließlich haben die Stierkämpfe im Mittelalter als Ritterspiele begonnen.

Aber sind wir mal ehrlich, waren Gladiatorenkämpfe im alten Rom nicht auch eine Tradition, wie die Rassentrennung in Amerika? Und ist Genitalverstümmelung von Frauen in Teilen Afrikas nicht heute noch Tradition? Tradition ist nicht gleich Richtigkeit und beinhaltet erst recht keine Fortführungsberechtigung. Ich glaube, dass wir in entwickelten Ländern wie Spanien so weit sind, uns von dieser mittelalterlichen Tradition verabschieden zu können. Wer, um sich unterhalten zu fühlen, sehen muss, wie andere Lebewesen gedemütigt und vorgeführt werden, der kann abends auch einfach das Dschungel-Camp, DSDS oder „Schwiegertochter gesucht“ einschalten. Ich bin mir sicher, dass es im spanischen Fernsehen vergleichbare Formate gibt. Zwar fehlt es denen noch an Tradition, aber die vorgeführten Menschen haben sich wenigstens selbst für die Teilnahme entschieden. Den Stier in der Arena hat niemand gefragt, ob er mitmachen möchte.

Außerdem muss ich auf dem heimischen Sofa nicht befürchten, dass ein Stier in Todesangst auf die Tribüne springt und mir nicht nur das Popcorn aus der Hand schlägt sondern mich eventuell auch schwer verletzt. Ich muss auch nicht damit rechnen, dass einer der Teilnehmer weil er kurz unaufmerksam war, das Horn eines Stieres durch den Lungenflügel gebohrt bekommt und daraufhin verstirbt. Doch genau das mussten zum Teil sogar Kinder live mitansehen, als der Matador Victor Barrio während eines Stierkampfes in diesem Sommer getötet wurde. Der Mann war gerade einmal 29 Jahre alt und hinterlässt eine Ehefrau, die nach seinem Tod mitteilte „Mein Leben ist zu Ende, ich habe keine Kraft!“ Wenn Mensch und Tier gleichermaßen in Gefahr sind, könnte man zwar sagen „selber schuld“ (viele zeigten nämlich kein Mitleid mit dem Matador). Gerade das zeigt aber, dass eine Tradition so voller Verrohung, bei der Tiere gequält und getötet werden und zu allem Überfluss auch noch Teilnehmer und Zuschauer in Gefahr sind, verboten gehört. Vielleicht war der Matador selbst schuld an seinem Tod, doch heißt das nicht, dass die Stierkämpfer ihr Recht auf Leben verwirkt haben. Eine Regierung hat die Aufgabe, ihre Bevölkerung vor Gefahren zu schützen. Deshalb muss sie eingreifen und den Stierkampf verbieten.

Wir Menschen sind einfallsreich, wir finden mit Sicherheit auch eine neue Art uns zu unterhalten, eine, die in unsere Zeit passt und für die keine unschuldigen Tiere und keine fast ebenso unschuldigen Menschen sterben müssen. Doch der Mensch ist gleichzeitig auch faul und ein Gewohnheitstier, deshalb ist es wichtig, dass der Stierkampf wie jede andere Tierquälerei per Gesetz verboten wird. So würde nicht nur eine blutige und grausame Tradition verschwinden, sondern mit etwas Glück vielleicht auch eine neue entstehen: Vielleicht wird ja eine andere Sportart in Spanien mehr Popularität erlangen, bestenfalls eine Art des Reit- oder Hundesport. Die zeigen nämlich, dass Mensch und Tier auch miteinander kämpfen und siegen können – ohne den Thrill von Leben und Tod.

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Von Angelina Sortino

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Heuchlerei hilft auch nicht weiter

Letztes Jahr gab es an Weihnachten bei mir daheim nicht den üblichen Festbraten, sondern Bandnudeln mit einem Steinpilz-Ragout und davor eine (natürlich) vegetarische Maronencremesuppe. Meine Mutter und ich waren im Gespräch darauf gekommen, dass wir gerade an Weihnachten doch mal das Fleisch weglassen könnten. Uns beiden hat es geschmeckt und meinem Vater würde es (natürlich) nie einfallen, das Festessen meiner Mutter zu kritisieren. Nur meine Schwester hat sich (natürlich) wieder beschwert: „Fleisch gehört an Weihnachten einfach dazu!“ Dass wir der traditionellen Bratengans damit zu Weihnachten das Leben geschenkt hatten erreicht das Mädchen in den Untiefen der Pubertät freilich nicht, weshalb sie bis zur Bescherung schmollte.

Von der tiefen Gewissheit getragen, wieder einmal der missverstandene Gute zu sein, begann ich noch in der Kirche einen Petitionstext zu formulieren: Nie wieder Fleisch an Weihnachten! Den Tiermord zu Festtagen in jeder Form ein und für alle Mal verbieten! Und nicht nur Weihnachten wollte ich als grausiges Schlachtfest brandmarken, damit hätte ich ja den Martinsgänsen keinen Gefallen getan. Als ich nach den Semesterferien zurück an den See kehrte, blickte ich auf den Rest der Welt hinab, gestützt von meiner moralischen Überlegenheit – schließlich hatte ich am nationalen Filet-Feiertag auf Fleisch verzichtet. Ich würde die Tierwelt retten! Bis mich mein Mitbewohner wieder auf den Boden zurückholte mit der nüchternen Analyse: „Menschen essen eben Tiere, natürlich auch an Weihnachten.“ Meine moralische Überlegenheit schien ihn auch nicht zu interessieren, und so scheiterte die Weltrettung im Flur meiner WG.

Und wie mein Mitbewohner Anfang des Jahres ist es nun meine Aufgabe, das blauäugig-naive Gerede vom Verbot einer langjährigen Tradition als solches auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Natürlich töten Menschen Tiere, das war schon immer so. Das Schwein verblutet an der Schnitzelfront, Mäuse gehen in Laboren an Krebsgeschwüren zugrunde und in Spanien gehen Stiere eben nach einem langen und erfüllten Stierleben – von dem die Schnitzelschweine nur träumen können – in der Arena in die Knie. Über die Gründe für die Tötung der Tiere zu debattieren ist in Ordnung, aber sie ganz zu verbieten ist nicht nur blauäugig, sondern zu gleichen Teilen auch noch arrogant und heuchlerisch.

Arrogant ist die Forderung, weil sie sich anmaßt, von einer moralisch höheren Warte zu argumentieren. So wie ich, als ich an Weihnachten einmal auf Filet und Gans verzichtete, kann man sich so mit ganz wenig eigentlichem Einsatz wie ein guter Mensch fühlen. Der Einsatz mag dennoch wichtig sein, aber er ist keine Ausgangssituation, um eine jahrhundertealte Tradition zu torpedieren.

Für die Heuchelei hinter dieser Forderung gibt es sogar einen Fachbegriff, den der Philosoph Peter Singer geprägt hat: Spezieismus. Er beschreibt das Phänomen, dass wir uns anmaßen, Tiere aufgrund ihrer biologischen Art zu diskriminieren. Die armen, spanischen Stiere in Schutz zu nehmen, dass vier oder fünf von ihnen nicht mehr in die Arena getrieben werden, ist den Millionen von geschredderten deutschen Küken gegenüber eben diskriminierend. Die Stiere profitieren von einem ungerechtfertigten und ein Stück weit willkürlichen Spezieismus.

Ob dieser langen Rede könnte man glatt zum Zyniker werden, einfach alle Tiere, unabhängig von ihrer Art, gleich schlecht behandeln. Immer feste druff, ist eh egal. Die Lösung? Selber die Welt besser machen. Weniger Fleisch essen und natürlich keine Pelze tragen. Bei der Kosmetik darauf achten, wie viele Tiere für dermatologische Versuche dran glauben mussten. Generell Bioprodukte kaufen. Und schon kann man sich den anderen ein wenig überlegen fühlen und erreicht weit mehr, als mit irgendwelchen Verboten. Also lasst den Spaniern ihre Stierkämpfe!

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Von David Mairle

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Rubrik 'Debatte ohne Lösung'

Die Debattenkultur lebt! Es gibt Fragen, die sich nicht beantworten lassen - ob ihrer ideologischen Aufladung oder der komplizierten Lage wegen. Futur drei lässt trotzdem zwei konkurrierende Seiten aufeinander los und präsentiert Debatten ohne Unterbrechungen, Geschrei und ohne Ergebnis.